Kategorie: Fotografie | Film

Auf ein Schalerl Kaffee in Wien: Wim Wenders eröffnet Fotoausstellung und fügt der Henne/Ei-Frage eine 3. Dimension hinzu.

Anlass für seinen Wien-Besuch ist die Retrospektive von ca. 30 Filmen und die Ausstellung von 70 Fotoarbeiten aus seinen frühen Jahren bis Anfang der 1980er. Bei einer Tasse Kaffee auf der Bühne des METRO Kinokulturhaus streift Wim Wenders durch Malerei, Musik, Photographie, Film und seine Reisen.

Auf die Henne/Ei-Frage, ob denn zuerst die Geschichte oder das Bild am Anfang seiner Projekte stehen, antwortet Wenders: „Mich interessiert der Ort, an dem die Henne das Ei legt. Geschichten müssen zu einem Ort passen, Orte erzählen ihre Geschichten und spielen für ihn die zentrale Rolle.“ Das spürt man beim Gang durch die Ausstellung: Wenders zeigt meist Orte, die eine Geschichte erzählen.

 

Zuvor erklärt Wenders, dass ein schnell abgebrochenes Studium der Malerei ihm den Weg zu Photographie und Film wies. Daher der frühe Einfluss durch Hopper und Wyeth. Die ausgestellten Fotos zeigen viel Landschaft (meist USA, auch Australien), Zufallsbegegnungen, Porträts seiner Begleiter und Locations.

Viele Bilder wirken wie photographische Notizzettel, gerade weil fast ausschließlich Motive auf Polaroids vertreten sind. Über zehn Jahre arbeitete Wenders nur über Polaroid-Fotos: auf seinen Reisen, bei der Motivsuche und am Filmset. War die Photographie in seinen jungen Jahren vor allem ein neuer Akt des Sehens (Abzüge interessierten ihn nicht, abgesehen davon, dass sie ihm zu teuer waren), hielt er beim Polaroid-Foto das Abbild der Realität  in Händen. Aus heutiger Sicht waren Polaroids für ihn ein erstes soziales Medium: sie waren sofort verfügbar, man konnte teilen – d.h. gemeinsam betrachten und sie sogar verschenken, weil sie eben ein Objekt waren.

Heute erkennt Wenders, dass sich sein Film „Der Stand der Dinge“ selbst widerlegt hat. Ebenso wie mein (damaliger) Lieblingsfilm „Der Stand der Dinge“ als Abgesang auf das Kino gedacht, folgte auf diese Phase seine größte Produktivität: ohne seine endzeitlichen Filme hätte es „Paris, Texas“ nicht gegeben.

Dem heutigen klassischen Kino kann Wenders wenig abgewinnen: vor allem Fantasy-Stoffe werden erzählt, ohne Bezug zu konkreten Orten. Er wird sich weiterhin Dokumentarfilmen widmen, „die machen mehr Spaß“ lächelt er und bedankt sich.

Die Ausstellung WIM WENDERS – FRÜHE PHOTOGRAPHIEN 60ER – 80ER JAHRE ist bis 9. Juni 2019 im METRO Kinokulturhaus Wien. Täglich von 15 bis 20 Uhr. Gleichzeitig stellt seine Frau Donata Wenders bis Mitte Februar Photographien in Graz aus.

Sein Buch SOFORT BILDER  findet ihr hier.

Auch der toteste Gummibaum bringt Leben in dein Büro

Büropflanzen sind die besten Arbeitskollegen: sie sind gute Zuhörer, anspruchslos, konstant in der Stimmung und immer da. . . nehmen Urlaube klaglos hin und sind die Blaupause für Leidensfähigkeit im Arbeitsleben. Aber nur auf den ersten Blick. Der Fotograf Frederik Busch zeigt sie in seinem Buch German Business Plants als seelenvolle Begleiter durch oft seelenlose Arbeitswelten.

Busch geht der Frage nach, wie machen wir unseren Arbeitsplatz privat. Von 2009 bis 2017 schuf er personen-ähnliche Porträts von Büropflanzen. Busch gibt den Pflanzen Namen und Stimme, denn er skizziert uns ihre Situation in einer Art short short story. Busch (*1974) studierte u.a. Filmwissenschaft und Schauspiel – das erklärt für mich seinen menschlichen Zugang zu den Seelen der Büropflanzen und sein Gespür für ihre Tragikkomik. Er war wohl nicht in Vorstandsetagen unterwegs, viele der Porträtierten sind schief, halb vertrocknet und entlaubt. Busch legt Wert darauf, dass die Pflanzen nur in einem Halbmeterradius verrückt wurden und mit vorhandenem Licht fotografiert wurden. Und sie blieben unverletzt.

Das Buch zeigt uns, wie weit Realität von Büropflanzen von ihrer eigentlichen Zweckbindung abweicht: sie sollen und Freude und besseres Klima spenden, Stress mindern und Leistung fördern. Übrig bleibt oft Natur auf kleinstem Raum an den Arbeitsplätzen der Anspruchslosen,  mit stark wechselnden Wasserspenden und Lichtverhältnissen. Ein Buch für Tippgemeinschaften im Büro, für Liebhaber von Hintergrundmusik in Endlosschleife und für die Erben von Hinterlassenschaften von Kollegen, die es nie gab. Der Gärtner-Tipp: nicht mehr Zeit als bisher für deine Büropflanzen verwenden! Das kann sie verstören und ihren Charakter verändern.

German Business Plants,  € 28,– | [Anzeige] in deiner Buchhandlung oder bei  oder hier.

Wim Wenders entspannte Biographie in Polaroids

Unser Treffen mit Wim Wenders hatte KaHa Mayer eingefädelt. Kurz bevor Der Amerikanische Freund in den Kinos anlief, empfing uns Wenders mit der scheuen (oder desinteressierten) Lisa Kreuzer in seiner Münchener Villa, wo wir gemeinsam Standfotos in bestechendem schwarz/weiß für unser Literaturmagazin auswählten. Auf dem Tisch lagen jede Menge Fotos von Dennis Hopper, wir wählten das ausdrucksstärkste für das Cover. Damit wurde es für 1977 ein richtig cooles Heft, aber auch unser vorletztes. Als ich jetzt auf der Buchmesse Wenders Buch Sofort Bilder entdeckte, ärgerte ich mich, dass wir ihn damals nicht nach seinen Polaroids gefragt haben.

Sofort Bilder ist eine wunderbar entspannte Autobiographie in über 400 Polaroids aus Wenders frühen Filmjahren, garniert mit shortshort stories seiner Erlebnisse und wenigen Fotos von Annie Leibovitz. Wie anders als so, sollte ein Künstler wie Wenders sein Leben erzählen – als in Bildern rund um seine Filme. Für den Leser und Betrachter ist es ein großes Glück, dass diese Lebensschau in Fotos einer Polaroid SX 70 geschieht, die immer wie Originalschnipsel Leben wirken.  Wie in seinen Roadmovies entwickelt sich sein Leben fast wie ohne Plan und Drehbuch, vieles, was dokumentiert ist, geschieht einfach und ergibt erst zum Schluss ein Ganzes. Und wie die echten Lebensgeschichten haben die Polaroids  immer wieder Kratz- oder Knickspuren, sind in ihren Farben verblasst, und manche wirken in ihrer Unschärfe wie Filmschnipsel in Zeitlupe. Wenders erzählt von seinen Begegnungen mit Peter Handke und Filmgrößen wie Sam Fuller, Sam Shepard, Nicolas Ray und eben auch mit Annie Leibovitz auf einer gemeinsamen Autofahrt von San Francisco nach Los Angeles. Und dann ist da noch sein ganz besonderer Abschied von John Lennon: mit einem Kurztrip nach New York beendet Wenders für sich das Ende einer ganzen Ära.

In der deutschen Filmlandschaft nahm Wim Wenders schnell eine besondere Stellung ein. Kaum war der cineastische Aufbruch im Deutschland der sechziger Jahre durch Regie-Kollegen mit urdeutschen Themen und Manifesten geschafft, setzte er sich ab und erschloss sich die Welt, bevorzugt in den Vereinigten Staaten. Zuvor zeigte er uns noch, dass Oberfranken und Arizona nur einen Steinwurf  voneinander entfernt sind. Es war lediglich eine Frage des Bildausschnitts. Und auch der Bildausschnitt ist es, der viele Polaroids wie Vorläufer von selfies und von hektischen shots der frühen smartphones wirken lässt, ohne Inszenierung, flüchtig und bisweilen schlampig. Vielleicht trauert Wenders deswegen diesen Zeiten ein wenig nach: „Das Gefühl, dass es ein Original gibt, also etwas, was wirklich existiert und deswegen auf eine andere Art und Weise Beweis ist, dass das stattgefunden hat – diesen Glauben haben wir eigentlich alle irgendwie verloren. … Heute machen wir mehr Bilder als je zuvor, aber es entstehen dabei keine Originale mehr.“

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Wer Originale sehen will, hat mehrere Chancen: bis 11. Febuar ist die Ausstellung mit seinen Polaroids in der Londoner Photographer’s Gallery zu sehen, danach bei C/O Berlin.