Kategorie: Lebensart | Lifestyle

Ein Handbuch für nette Menschen – und solche, die es werden wollen

Selbstversuch mit Hund |

Mit dem Versprechen für ein entspanntes und harmonisches Leben schraubt The Monocle Book of Gentle Living die Erwartungen bei Leser*innen von Anfang an richtig hoch. Noch bevor die erste Seite aufgeschlagen ist, stellt sich die Frage, wo stehen wir eigentlich? Irgendwie ist unser Leben immer ein wenig in Schieflage: zu viel Chef, zu viele messages,  zu viele Weggabelungen und zu wenig Bewegung, Geld, echte Freundschaften und Zeit für uns selbst. Und damit wagen wir uns in ein neues Jahrzehnt? Sind wir von 2020 nicht gebeutelt genug? Gentle Living durchforstet unsere Lebensbereiche und hebt Ressourcen für ein zufriedenes und  behutsames Leben. Kann das klappen? Wir lesen genau nach und machen außerdem einen ersten Selbstversuch mit Hund.

50 freundliche Tipps für ein entspanntes Leben

Ein Dilemma: unsere digitalen Möglichkeiten nutzen viel und schränken gleichzeitig Freiheiten ein. Wir sind hervorragend connected und trotzdem auf der Suche nach dem Echten. Wie legt nun das global vernetzte Monocle-Team seinen Ratgeber an? Mit positiver Grundhaltung. Schon die Einstimmung mit einem Manifest aus fünfzig sympathischen Ideen macht Laune. Meist nicht schwer umzusetzen, leicht und lakonisch formuliert und mit herrlichen Retro-Illustrationen. Als Leser*in schaffst du dir hier schon deine Bewertungskriterien für die gesammelten Gentle Living-Anregungen: A) mach ich schon, B) wieso bin ich da nicht selbst drauf gekommen? C) Aha! D) Naja. . .

Ein analoger Streifzug durch das Buch:

  • Wichtiger Rat für alle Spezialisten: sei nicht nur fit in deinem Beruf, sondern nimm dir Zeit und wage eine zusätzliche Parallel-Aufgabe.
  • Der Wohlfühl-Klassiker „besser Essen“ bietet nicht nur mit Vergnügen kochen, sondern auch bewusst, v. a. regional einkaufen und in Gemeinschaft genießen. Dazu gehört, regelmäßig neues auf dem Tisch und bei der Gästeliste auszuprobieren.
  • Tauch mal unter, nimm nicht immer den schnellsten Weg und entdecke kleinere Metropolen. Leg den Schalter um und trau dich, offline zu sein.
  • Auch dieser Ratgeber kommt nicht ohne die üblichen Tipps aus für nachhaltiges Einkaufen (da ist der Manufaktum-Katalog informativer!), schöner Wohnen (nicht billig) und Erfolgsstories von globalen Aus- und Umsteigern. Macht nichts, wie in jedem Buch darfst du Seiten überblättern.
  • Im Essay-Teil geht es neben Beruf, Freizeit und das Leben in der Stadt immer wieder um die spannende Ausgewogenheit von digitaler und analoger Welt: Mitautor Andrew Mueller warnt vor der trügerischen Quantität unserer digitalen Botschaften – viel heißt selten auch wichtig. Auf den interessanten Vorschlag von Herausgeber Josh Fehnert, statt dicker Wälzer wieder mehr short reads wie Stories und Novellen zu lesen, gehe ich bei nächster Gelegenheit näher ein. Interessant auch der Aspekt, dass das neue Jahrzehnt Städte braucht, die ebenfalls durch positives Denken geprägt sind. Warum also nicht zusätzliche „Erlaubnisschilder“ statt nur Verbote, z.B. „auf der Wiese sitzen erlaubt“. . .  Dazu wesentlich mehr Grün, Wasser und Bewegungsmöglichkeiten.

Schluss mit Multitasking

Das Buch kommt zum richtigen Zeitpunkt. Nicht nur wegen unserer 2020-Erfahrungen. Vor allem aber wegen der beiden letzten Dekaden: Internetblase, Finanz- und Klimakrise, digitalem Fortschritt samt den gesammelten Folgen und Veränderungen. Da blieb einiges an Ausgewogenheit auf der Strecke: zwischen Pflicht und Muße (wer hat ein moderneres Wort dafür?!), zwischen global und local, zwischen digital und analog. Charmant animiert und ermutig uns Gentle Living zu Lebenskorrekturen. Es gibt noch ein Leben hinter dem Bildschirm. Es braucht nicht viel, um es zu entdecken: eine positiver Einstellung, den Willen anzufangen und für einige Maßnahmen ein bisschen übriges Geld. Die Monocle-Welt ist interessant, gelassen und stylish, aber immer auch ein bisschen abgehoben. Und so ganz nebenbei zeigt uns Gentle Living wie lebendig Print ist. Print entspannt und ist eine wirksame Medizin gegen Multitasking. Wir schmökern durch ein sehr schön gemachtes und abwechslungsreiches Buch. Fine reads.

Gönn dir immer den Fensterplatz

Das Monocle-Buch ist ein esoterikfreies Kompendium für eine zufriedene Dekade mit klaren Botschaften. Ohne versteckte Qualen und Entsagungen. Ganz wenige Ratschläge sind inhaltlich banal, die meisten sind überraschend anregend und alles zusammen liest sich amüsant und unterhaltsam. Wir werden unsere Zeit besser nutzen, Multitasking den Kampf ansagen und die Herrschaft über unser smart phone samt message control zurückgewinnen. Und die Sache mit dem Hund? Gentle Living Tipp Nr. 3 lautet „Get a dog“. Seit dem Sommer begleitet uns die quirlige Mischlingshündin Gina. Sie kann zwar kein smartphone bedienen, aber weiß, wo wir Grissini bunkern und wie man die Schlafzimmertür öffnet. Außerdem kennt sie 101 überaus erholsame Schlafpositionen. Get a dog – denn ein Hund macht Leben und Arbeiten menschlicher. Wie wahr. Mit und ohne Hund hat der Monocle Guide ein Geheimrezept für ein entspanntes Leben: sei freundlich zu dir selbst – dann bist du’s auch zu anderen.

Tyler Brûlé, Josh Fehnert (Hrsg.), The Monocle Book of Gentle Living, Thames & Hudson Ltd., 242 S., ca € 35 | in deiner Lieblingsbuchhandlung oder hier.

(c) Kurt Pohl 2020

Bobos: fabelhafte Halbprofis und nette Klugscheisser?

Ein Babyphon ist ein walkie talkie, das Nachwuchs-Geräusche von einem Raum in den anderen überträgt. Ergo vermittelt ein BOBOPHON – so der Titel des neuen Buchs von Thomas Raab – Geräusche aus besonderen Stadtvierteln.

Die übermittelten Lebenszeichen kommen vorrangig aus den Wiener Grätzeln  Neubau (7. Bezirk) und Bobograd (2. Bezirk, Leopoldstadt). Stadtteile, in denen sich Bobos tummeln und zusammenrotten. „Der ‚bougeoise Bohemien‘ ist ein neuer Typus, der idealistisch lebt, einen sanften Materialismus pflegt, korrekt und kreativ zugleich ist und unser gesellschaftliches, kulturelles und politisches Leben zunehmend prägt. (David Brooks, Die Bobos, 2001). In München kämen diese Lautmeldungen aus dem Glockenbachviertel und aus Haidhausen, in Berlin wahrscheinlich vom Prenzlauer Berg und aus Friedrichshain.

Irgendwas mit Medien

Erstaunlich wie viele verschiedene Bobo-Typen  Thomas Raab in jahrelangen Recherchen in seine Botanisiertrommel gesteckt hat. Trendbewusst (siehe George Saunders Fuchs 8) verpackt Raab sein Panoptikum in Fabeln samt dafür notwendigen, ausgeprägten Stereotypien. Vorurteile dürfen sein, Thomas Raab stellt die Mitglieder der intellektuellen Elite ins Schaufenster. Das sind die mit den modernen, vorzeigbaren Berufen aus Medien, Marketing, Beratung und Kultur: der Platzhirsch, der vorrangig an der Futterstelle zu finden ist. Den Designer als Einzeller, kreativ für die neuesten Dinkelweckerl, die Ratten im dunklen Netz mit ihren finsteren Machenschaften, die Revolutionsschnecke mit ihrer permanenten Versagensangst und viele weitere Urbantierchen. Auch echte Tiere wie Ein armer Hund sind zu finden, vor dem Futterautomaten auf die Weekend-Rückkehrer wartend.

Einge urbane Klugscheisser sind dabei, meist Typen, denen eine ausgeprägte Hybris gemein ist. Aber man kann ihnen nicht wirklich böse sein, bringen sie doch Farbe in Beton-, Ziegel- und  Harmoniewüsten. Da passt es, dass die Zeichnungen von Christian Wallner in grobem schwarzweiss gehalten sind und damit eine erzählerische Ergänzung, mehr als nur Illustration.

Fabelhafte Halbprofis und nette Klugscheisser

Thomas Raab macht das mit seinem intellektuellen, manchmal universitär verschrobenen Witz, schreckt im Einzelfall der geschwätzigen Diskursbiene auch nicht vor einem Craftbier-Stammtischwitz zurück: „Onaniert sie? Nein! Sie habilitiert.“  Thomas Raab führt uns in BOBOPHON mit immer wieder rätselhafter Ironie in communities und ihren Orten, wo die Stadt am urbansten ist. Seine Freunde werden schon wissen, wer gemeint ist und ob sie noch beste Freunde bleiben wollen. Aber es ist ja nur ein tierischer Menschenzoo, der hier auf den scanner kommt. Teilweise am Land lebende Buchblogger konnte ich darunter nicht entdecken.

Thomas Raab, BOBOPHON, mit Zeichnungen von Christian Wallner, 135 S., € 13,90

Das Rezept für Langeweile im Herbst: The New Luxury.

[boostyourcoffeetable:Wir müssen nicht alle Bücher lesen. Oft genügt es, dass wir sie haben, darüber reden und zeigen. Von der Decke hängend, in einer geöffneten Schublade, ganzjährig auf der Terrasse oder eben auf dem coffee table.]

Highsnobiety: The New Luxury: 320 S., reichlich Abbildungen, gestalten | € 39,90 | in deiner Lieblingsbuchhandlung

Was du über The New Luxury wissen solltest.

Luxus, das waren einmal riesige Yachten, dicke Autos und Grand Hotels. Statussymbole und Geldanlagen für Riviera-Filmstars und arlbergsonnengebräunte Unternehmer. Alles möglichst unerschwinglich, exklusiv und nicht nachhaltig. Zeit also für neue Kreativität, neue Ikonen und Marken. Der Berliner Verlag gestalten ist ein zuverlässiges Trendradar dafür, wie urbanes und globales Leben hedonistischen Spass macht. Jetzt also mit The New Luxury.

Warum passt The New Luxury gut auf deinen coffee table?

Luxus ist heute ein Zeichen von Individualismus und definiert sich nicht (nur) über den Preis. Sondern durch die persönliche Inszenierung und über die communities, die wir teilen. Das Buch zeigt etablierte Marken mit neuen Produkten (Wasserflasche von Prada: wahrscheinlich für Quellwasser aus dem Himalaya) und neue brands wie die japanische LifeWear-Kette Uniqlo. Angenehm – im Buch drängeln sich keine fetten Schweizer Uhren, old school. Ich finde, den Spass kann man sich gönnen: das Buch hat Kreativität, die überspringt und bringt uns auf den neuesten Stand bei etwas, was wir eigentlich nicht brauchen.

Dein bester Platz für The New Luxury.

Das Buch ist nice to have, nice to see. Idealer Standort ist dein Frühstücksplatz und jeden Morgen wird eine neue Doppelseite aufgeschlagen. Durchgehend findest du Anregungen für streetwear und sneakers. Sehr urban.

Alle widergegebenen Buchinhalte und -abbildungen (c) Die Gestalten Verlag GmbH&Co. KG, Berlin 2019

(c) Kurt Pohl 2019