Kategorie: Reisen | Entdecken

Vor fünf im Urwald.

Der Bayerische Wald ist unser schönster Urwald, zum Großteil naturbelassenen. Da wurde es Zeit für ein Buch, das mit Reportagen und Wandertouren Lust aufs Näher-Kennenlernen macht. 15 Gipfel mit den schönsten Touren im Bayerwald warten auf uns.

Nichts gegen Oberbayern, aber. . .

Der Bayerische Wald ist eine Art Anti-Oberbayern. Tracht tragen hier nur Touristen, Einheimische leiden nicht unter Fön-Wetterlagen, geniessen ein deutlich weniger teures Leben und fahren SUVs nur, wenn es für das Gelände notwendig ist. Meistens jedenfalls. Dafür gibt es unberührte Natur, mehr Ursprünglichkeit, mehr Zeit fürs Ich und Menschen mit verborgener echter Freundlichkeit. Ich gestehe, ich liebe den Bayerwald. Und jetzt erwarten mich zu meinen vier bekannten weitere 11 Gipfel. Was bieten schon Tegern-, Schlier- und Chiemsee, wenn wir Vorderen, Mittleren und Hinteren Bayerischen Wald bewandern können!

Endlich Ordnung im Urwald

Das Buch ist überaus ordentlich strukturiert – und das im Urwald! Tatsächlich zeigt uns eine Doppelseite die richtige Nutzung der Kapitel, gut für urbane Neuwanderer. Denn der Bayerische Wald umfasst nicht nur einen geschützten Nationalpark, sondern auch unzählige Wanderziele und sehenswerte Plätze. Das Buch ist daher kein klassischer Wanderführer und zählt nicht jedes Farnkraut am Wegesrand einzeln auf. Es ist erfrischend informativ, abwechslungsreich und prall gefüllt. Statt der üblichen Tourenkarten gibt es QR-links und auch sonst richtet sich das Buch an neue Wander-Zielgruppen. Es gibt Hin-Wege, Rund-Wege und Weg-Wege samt Gebrauchsanweisungen.

Wir finden Hütten, Gasthäuser und Unterkünfte – vor Besuch noch mal gegenchecken, Post-Covid-Changes wirbeln auch durch den Wald. Wichtig sind die „Infokasterln“, in denen die Highlights der Tour zusammengefasst sind. So lernen wir Brotjackelriegel, Osser, Falkenstein (Superhütte), Rachel (mein favourite), Lusen (beeindruckende Steinwüste), Dreisessel (meine Jugend), Arber (zu verbaut, nicht so meins) und und neun weitere Gipfel kennen. Und ein Geheimnis der Namensgebung wird gelüftet: aus „Breiten Jägerriegel“ wurde „Broader Jacklriegel“ und schließlich der kuriose Brotjackelriegel. Damit es im stillen Mittelgebirge auch menschelt, berichten Sportler*innen, Unternehmer und Künstler*innen. Unter ihnen auch die betagte Stilla Moritz (geb. 1927), die im aufgelassenen Dorf Leopoldsreut aufgewachsen ist. Schweren Herzens musste das Dorf 1963 von seinen Bewohnern aufgegeben werden, denn das karge Leben ohne Strom- und Wasserversorgung und mit acht Monaten Winter war zu beschwerlich.

Wer mag schon acht Monate Winter?

15 Gipfel konzentriert sich auf die schneefreie Wanderzeit, wie gefühlte 1000 Fotos dokumentieren. Ein bisschen üppig für 300 Seiten. Vielen Motiven bleibt nur Briefmarkengröße, die Kunst des Weglassens schien bei diesem Reichtum an Umgebung kaum durchzuhalten.

Stilla Moritz aus Leopoldsreut

Herausgeberin der 15 Gipfel ist die Fotografin Evi Lemberger. Aufgewachsen im Lamer Winkel zog sie es vor, ihre Projekte erst einmal in der Ferne zu realisieren. Erst nach ihrer Rückkehr war sie reif für das außergewöhnliche Projekt vor ihrer Haustüre. Lemberger stellte drei Wanderteams aus jeweils Fotograf- und Autor*in zusammen. Trotz Höhenangst übernahm sie selbst einige Gipfelwanderungen.  Mit viel Empathie trugen die Zweier-Teams Reportagen, Tourenvorschläge und Erfahrungen zusammen, so dass das Buch zu einer abwechslungsreichen Langstrecke wurde.  So dicht wie der Wald, geheimnisvoll und jetzt auch noch hip. Also schnell die Manufactum-Bergschuhe geschnürt, bevor auch die zweite Auflage vergriffen ist. Übrigens, es gibt nichts schöneres als einen Sommer-Sonnenaufgang von einem der fünfzehn Gipfel. Du wirst dein Leben neu bewerten.

15 Gipfel, Herausgegeben von Evi Lemberger, 300 Seiten | €28,00 hier.

(c) Kurt Pohl, 2023

New York auf Kniehöhe.

Seit achtzehn Monaten begleitet uns eine quirlige, kniehohe Siberian Husky-Terrier-Mischung durchs Leben. Natürlich auch auf – C19-bedingt – spärlichen Fernreisen. Wir sind ja jetzt ihr Rudel, auch im Auto. Ehrlich gesagt trauen wir uns noch nicht, sie in Obhut zu geben und ohne sie zu verreisen. Weder engste, liebe Verwandte noch charmante Hundepensionen genießen unsere Vertrauen für unser vierbeiniges Juwel. Das Problem liegt eindeutig bei uns.

London und New York mit dem Vierbeiner erkunden.

Reisen mit Hund sind nicht stressfrei. Bedürfnisse der Vierbeiner sind begrenzt, aber zentral. Reichlich feines Futter, ruhiges Plätzchen für Dauer-power-napping, Raufen mit Artgenossen und verschwiegene Plätzchen fürs G’schäftchen. In der Großstadt erfolgt die Suche danach aus der kniehohen Perspektive. Umgeben von Beton, Autolärm, hektischen Fußgängern und lautlos daher rasenden Pizzaboten. Falls demnächst London oder New York City auf dem Reiseplan stehen, gibt es Rat in Buchform: Dog-Friendly New York und Dog-Friendly London sind zwei Neuerscheinungen des indie-Verlegerpaars Ann und Martin der Hoxton Mini Press in East London.

Gebt den Hunden das Kommando

Beide Bücher haben beste Tipps für den urbanen Hundeauslauf in Parks, empfehlen hundefreundliche Restaurants, Cafés, Bars und nette Hotels. Alles wichtig, weil in Großstädten rar oder z.B. wie in New York in gastronomischen Innenbereichen seitens des Gesundheits-Departments verboten. Dazu gibt’s Tipps für Gassi-Routen: wie wär’s in London mit einem dog walk von Little Venice nach King’s Cross entlang des Regent’s Canal? Beide Bücher entstanden in Zusammenarbeit mit dem Magazin FOUR&SONS, in dem Hunde und ihre Besitzer*innen auf kulturelle Themen rund um Vierbeiner prallen. Natürlich very British mit einer Menge origineller und edler Hundefotos samt den Menschen am anderen Ende der Leine. Die beiden Ratgeber machen Lese-Freude, auch wenn die nächste Reise nur aufs Land geht oder gerade kein Hund um einen herumwedelt.

Warum nicht mal mit Hund in den Corona Park (heißt schon lange so) im New Yorker Stadtteil Queens, zum Frühstücken ins Five Leaves in Greenpoint oder auf vier Pfoten über die Brooklyn Bridge? Gebt euren Hunden das Kommando und Leine los, es gibt viel zu entdecken.

FOUR&SONS, Winnie Au: Dog-Friendly New York | Hoxton Mini Press, 192 S., £ 17,95

FOUR&SONS: Dog-Friendly London | Hoxton Mini Press, 176 S., £ 17,95

(c) Kurt Pohl 2022

Alles, was unser Leben sprizziger macht: The Monocle Book of Italy.

 

Das Team des Monocle-Magazins gestaltet sein Book of Italy wie eine Fahrt im high-speed Zug Frecciarossa durch Italiens Kultur, Kulinarik und Lifestyles. Mein persönliches Italien ist nicht so üppig wie das Buch: die Schallplatten von Lucio Battisti, ein klassisches Rennrad von Tommasini, Pasta von kleineren Manufakturen.und vor allem die Bialetti-Moka – gezeichnet von hunderten Espresso-Einsätzen auf unserem Wiener Gasherd.

Halb verfaulter Hai oder lieber Zuppa di pesce?     

Gleich auf den ersten Seiten stellt Monocle-Chef Tyler Brûlé die Killer-Frage: Wenn wir für den Rest unseres Lebens nur noch eine Landesküche hätten, welche wär’s? Island fällt in dieser Frage schon mal aus dem Rennen: wer will  schon sein Leben lang vergorenen und für Monate in der Erde vergrabenen Hai namens Hákarl auf dem Teller? Also lieber Essen vom Italiener – und das am besten in Italien. Ein Fazit gleich zu Beginn: The Monocle Book of Italy zeigt, dass kein anderes Land unsere Alltags-Träume vom guten und schönen Leben erfüllt wie eben Italien.

Zur richtigen Zeit die Uhr anhalten

Die Herausgeber Chiara Rimella und Joe Pickard  unternehmen mit The Monocle Book of Italy eine Rundreise durch alle Lifestyles. Auf ihrer Grand Tour durch den Stiefel reisen sie durch die Vielfalt der Regionen und geben ein look and feel der wichtigsten Metropolen von Bozen bis Palermo. Das Kapitel Design belegt, dass Minimalismus keine Italienische Strömung ist. Alle Design-Ikonen, die wir täglich zuhause und im Büro nutzen, haben neben der Funktion immer auch etwas spielerisches in Form und Farbe. Italienisches Design zielt auf ein Lächeln bei der Nutzung. Übrigens: der Schnellzug Frecciarossa wurde im Turiner Studio Bertone designt – auch verantwortlich für die legendäre Guilietta von Alfa Romeo. Und flux geht’s zum Kapitel Mobilität: Boote der Marke Riva und sportive Autos machen uns neidisch, die Dauerbrenner von Vespa bis zum Lasten-Dreirad Ape – dem Klassiker in vielen Schwarzweiss-Filmen. Nur Alitalia ist inzwischen Geschichte. Ich erinnere mich gerne an die Reise von Bari nach Venezia, stundenlang zieht die Adria am Fenster des Schnellzugs vorbei.

Das Geheimnis der Italiener*innen liegt darin, im richtigen Zeitpunkt die Uhr anzuhalten: ein Zwischenstopp auf der Piazza, am Strand zwischen bunten Sonnenschirmen und immer Zeit für einen caffè al banco im Stehen.

Mode-Start-ups in der Provinz sind alles andere als provinziell!

Wie immer hat das Monocle-Team hat ein gutes Gefühl dafür, die richtigen Menschen aufzuspüren, an längst bekannten Orten neues zu entdecken und Stimmungen zu vermitteln. Beispielsweise ein Besuch bei Gabriele Gmeiner, Schuhmacherin in Venedig. Bei ihr wartet man gerne zwölf Monate auf ein Paar handgefertigte Massschuhe. Und abseits der Metropolen entdeckt Monocle unabhängige Modelabels wie Zoe (Bassano del Grappa) und Sugar (Arezzo). Spannend ist auch die Übersicht, wie sehr italienische Markenprodukte unseren tristen Alltag erhellen: von Alessi über Nutella bis zur Vespa. Gut, wichtig und schön. Immer erfinden Italiener*innen Sachen, die unser Leben angenehmer und sprizziger machen. Das gilt besonders für das Kapitel Hospitality/Gastfreundschaft mit vielen Highlights der italienischen Küche. Wenn Lesen satt machen könnte. . . Zusätzlich gibt es Tipps für essentials im Vorratsschrank für graue Wochenenden. Rechtzeitig die Regale auffüllen. Das Book of Italy ist vor allem ein Bilderbuch über das angenehme Leben, die ergänzenden – englischen – Texte haben meist Cappuccino- oder maximal Aperol-Länge.

Die Texte haben Cappuccino-Länge

In der B-Note bekommt das Buch minimale Abzüge: es beantwortet nicht die Fragen, warum Korruption jährlich Milliarden Schäden anrichtet oder wie es sein kann, dass die italienische Nation seit 1946 sechsundsechzig Regierungen verschlissen hat. Gut, das sind Fragen, die man seinem coffeetable üblicherweise nicht stellt. Dafür punktet das sehr abwechslungsreich gestaltete The Monocle Book of Italy bei unseren Erwartungen an italienisches Leben: fare una bella figura. Gerade, wenn es bei uns kalt und nebelig ist.

Chiara Rimella, Joe Pickard (Hrsg.): The Monocle Book of Italy, 294 Seiten, € 65 | in deiner Lieblings-Buchhandlung oder hier.

(c) Kurt Pohl 2021