Wim Wenders entspannte Biographie in Polaroids

Unser Treffen mit Wim Wenders hatte KaHa Mayer eingefädelt. Kurz bevor Der Amerikanische Freund in den Kinos anlief, empfing uns Wenders mit der scheuen (oder desinteressierten) Lisa Kreuzer in seiner Münchener Villa, wo wir gemeinsam Standfotos in bestechendem schwarz/weiß für unser Literaturmagazin auswählten. Auf dem Tisch lagen jede Menge Fotos von Dennis Hopper, wir wählten das ausdrucksstärkste für das Cover. Damit wurde es für 1977 ein richtig cooles Heft, aber auch unser vorletztes. Als ich jetzt auf der Buchmesse Wenders Buch Sofort Bilder entdeckte, ärgerte ich mich, dass wir ihn damals nicht nach seinen Polaroids gefragt haben.

Sofort Bilder ist eine wunderbar entspannte Autobiographie in über 400 Polaroids aus Wenders frühen Filmjahren, garniert mit shortshort stories seiner Erlebnisse und wenigen Fotos von Annie Leibovitz. Wie anders als so, sollte ein Künstler wie Wenders sein Leben erzählen – als in Bildern rund um seine Filme. Für den Leser und Betrachter ist es ein großes Glück, dass diese Lebensschau in Fotos einer Polaroid SX 70 geschieht, die immer wie Originalschnipsel Leben wirken.  Wie in seinen Roadmovies entwickelt sich sein Leben fast wie ohne Plan und Drehbuch, vieles, was dokumentiert ist, geschieht einfach und ergibt erst zum Schluss ein Ganzes. Und wie die echten Lebensgeschichten haben die Polaroids  immer wieder Kratz- oder Knickspuren, sind in ihren Farben verblasst, und manche wirken in ihrer Unschärfe wie Filmschnipsel in Zeitlupe. Wenders erzählt von seinen Begegnungen mit Peter Handke und Filmgrößen wie Sam Fuller, Sam Shepard, Nicolas Ray und eben auch mit Annie Leibovitz auf einer gemeinsamen Autofahrt von San Francisco nach Los Angeles. Und dann ist da noch sein ganz besonderer Abschied von John Lennon: mit einem Kurztrip nach New York beendet Wenders für sich das Ende einer ganzen Ära.

In der deutschen Filmlandschaft nahm Wim Wenders schnell eine besondere Stellung ein. Kaum war der cineastische Aufbruch im Deutschland der sechziger Jahre durch Regie-Kollegen mit urdeutschen Themen und Manifesten geschafft, setzte er sich ab und erschloss sich die Welt, bevorzugt in den Vereinigten Staaten. Zuvor zeigte er uns noch, dass Oberfranken und Arizona nur einen Steinwurf  voneinander entfernt sind. Es war lediglich eine Frage des Bildausschnitts. Und auch der Bildausschnitt ist es, der viele Polaroids wie Vorläufer von selfies und von hektischen shots der frühen smartphones wirken lässt, ohne Inszenierung, flüchtig und bisweilen schlampig. Vielleicht trauert Wenders deswegen diesen Zeiten ein wenig nach: „Das Gefühl, dass es ein Original gibt, also etwas, was wirklich existiert und deswegen auf eine andere Art und Weise Beweis ist, dass das stattgefunden hat – diesen Glauben haben wir eigentlich alle irgendwie verloren. … Heute machen wir mehr Bilder als je zuvor, aber es entstehen dabei keine Originale mehr.“

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Wer Originale sehen will, hat mehrere Chancen: bis 11. Febuar ist die Ausstellung mit seinen Polaroids in der Londoner Photographer’s Gallery zu sehen, danach bei C/O Berlin.

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