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Erich und das Selektive

In diesem Jahr wäre er 125 geworden. Für einen phantasiereichen Erwachsenen- und Kinderschriftsteller eigentlich kein Problem. Erich Kästner konnte ja aus dem Vollen der Worte, Figuren, Ideen und Erlebnisse schöpfen.

Trotz seiner schriftstellerischen Vielseitigkeit gehörte er „zu den unglücklichen Schriftstellern der Moderne“ (Erich Kästner Museum, Dresden). Kästner wanderte nicht – wie viele Kollegen – während der Herrschaft der Nationalsozialisten ins sichere Exil, seiner Mutter zuliebe. Geächtet und mit Schreibverbot belegt, versuchte er, sich über Wasser zu halten. Und trotz seiner täglichen Kaffeehaus-Besuche war es sicher kein Zufall, dass er am 10. Mai 1933 über den Berliner Opernplatz flanierte und miterleben musste, wie sein Fabian unter Nazi-Parolen „als undeutsche Literatur“ dem Feuer „übergeben“ wurde. Mit äußerster publizistischer Zurückhaltung überlebte Kästner die Jahre bis 1945.

Kästner für Sammler

In den 90er Jahren habe ich eine kleine Sammlung von Kästner Erstausgaben angelegt, die die ganze Vielfalt seiner Veröffentlichungen spiegelt. Kritische Gedichtbände, die nach der Machtergreifung der Nazis nur noch zensiert nachgedruckt werden durften, seine Unterhaltungsromane, ebenso Epigramme und Chansons und natürlich seine Kinder- und Jugendbücher. Dass Kästner einer der meistgelesenen Autoren war, sieht man hin und wieder einzelnen Ausgaben an. Wie immer versuche ich gut bis sehr gut erhaltene und immer lesefreundliche und saubere Exemplare für Sammler anzubieten.

Kästner und die Frauen

Gelinde gesagt abwechslungsreich war Kästners Verhältnis zu Frauen. Im Vordergrund stand das innige Verhältnis zu seiner Mutter. Sie versorgte ihn einerseits von Dresden aus mit allem lebensnotwendigen inklusiv fein gebügelten Oberhemden. Andererseits war Ida Kästner erste Ansprchpartnerin. Täglich erhielt „liebes Muttchen“ wenig verschwiegene Briefe und Postkarten mit neuen Namen, Abenteuern und Trennungsgeschichten. „Es waren keine goldenen Zeiten für die große Liebe. Es waren die Zeiten für eine ‚Sachliche Romanze‘, wie Erich Kästner in Ein Mann gibt Auskunft schreibt ,erst teilen sie das Bett miteinander, ‚dann kam die Liebe abhanden, wie anderen ein Stock oder Hut‘.

Das Kästner-Museum in Dresden

Auf der Bahnfahrt von Berlin nach Prag machte ich einen Zwischenstopp in Dresden, um mir in Kästners Geburts- und Jugendort sein Museum anzusehen. Sein Leben und Werk ist dort eher für Kinder und Schüler*innen aufbereitet, interaktiv, digital und mit analogen Zettelkästen. Kästner-Sammler kommen hier weniger auf ihre Kosten. Aber Achtung: allein der Anblick der wunderbar erhaltenen Erstausgabe von Fabian (Der Gang vor die Hunde) lohnt den Ausflug, andächtig steht man vor der Einbandgestaltung von Georg Salter.

Meine Top Five

In meinem Bestand sind extrem schöne, extrem seltene Ausgaben, aber auch „normale“ Ausgaben. Zeitlose Bücher – sie gehören gelesen und gesammelt! Die Top Five meiner Kästner-Sammlung:

www.booklooker.de > Suchen > Stichwort > Kästner_boox

(c) 2024 Kurt Pohl

slow lane 01 | 24: eine schöne Kulturwoche liegt hinter mir | Film | Literatur | Ausstellungen

Immerhin mir fehlen meine regelmäßigen Buch-Posts bei trooboox. Ich komme einfach nicht dazu, da meine Arbeitskraft seit Monaten in die Aufbereitung meines Angebots literarischer Erstausgaben bei der Plattform booklooker.de fliesst. Um wieder zum Schreiben zu kommen, gönnte ich mir kürzlich eine spannende und abwechslungsreiche Kulturwoche: ein Wochenende in Linz zum Filmfestival Crossing Europe, dann eine Lesung mit dem späten Gerhard Rühm, samstags mit einem Experimentalfilm in Wien-Ottakring und am Montag Premiere des Films Pandoras Vermächtnis über G.W.Pabst.

Wortspielplatz im hohen Alter.

Gerhard Rühm merkt man nach wenigen Worten an, dass er sich auch an seinen Jahrzehnte zurück liegenden Texte eine kindische Freude bewahrt hat. Da sitzt ein charmanter älterer Herr (94!), den der spielerische Umgang mit Sprache und Situationen jung hält und überrascht mit einer Lesung von Theater-short-reads. Die Hörerschaft im Theater Odeon ist begeistert und spendet Standing Ovations. Im Anschluss nutzte ich die Gelegenheit, um eine der letzten gemeinsamen Arbeiten der Wiener Gruppe (u.a. mit Artmann, Bayer, Achleitner) aus dem Jahr 1963 signieren zu lassen: Heft zwei der edition 62. Eine Gesamtausgabe ist bei Matthes und Seitz verfügbar. Und wer sich über teilweise signierte Originalausgaben freut, darf sich gerne in meinem Angebot Gerhard Rühm umsehen.

2024 ist unter anderem ein Kant-, Kraus-, Kafka- und Kästner-Jahr.

Vielleicht hätte sich Erich Kästner einfach in sein 125. Lebensjahr geschrieben, denn wer den „35.Mai“ erfunden hat, schafft mit einiger Phantasie auch so etwas. Leider war Kästner starker Raucher und starb schon 1974 im Alter von 75 Jahren. Wenige Autoren haben Kinder und Erwachsene gleichermaßen literarisch begeistert, von Emil und die Detektive bis zum Gang vor die Hunde. Und selbst Micky Maus fand – generiert von Kästners kongenialem Partner, dem Zeichner Walter Trier – Eingang in sein Werk. Entdeckungen und Überraschungen findest du bei www.booklooker.de unter dem Stichwort „Kästner_boox„. Mein nächster Post ist über Kästner.

E-Tankstellen geistern durch die Stadt

Christoph Höschele zeigt in seinem Filmexperiment Von Steckdose zu Steckdose zwei Dutzend Wiener E-Tankstellen in kontemplativen Einstellungen, dem Klimawandel zum Trotz leider meist ohne Nutzung. Auf der Live-Tonspur läuft zu den Bildern der E-Tankstellen das Knattern und Röhren von Diesel-Fahrzeugen, getunten Benzinern und sogar ein Ferrari blubbert ums Eck. So ist das echte Leben. Die E-Tanke ist eine einfache Metallbox, die mit Eisenpollern vor Autoblech geschützt. Mit dem Verschwinden des Verbrennermotors werden sich auch unsere Stadtbilder, meint der Filmemacher und Dozent an der Wiener „Angewandten“ im Gespräch mit Kulturjournalistin Patricia Grzonka. Damit ändert sich unsere Versorgungslage. E Tankstellen sind kein Ort für Junk-Snacks, Not-Alkohol, Verzweiflungsrosen und kein Ort für den Start ins Nachtleben. Ob sie sich je in unsere Popkultur einschleichen wie die alten Zapfstellen, die unsere Nächte mit Neonfarben Blau (ARAL), Grün (BP) und Gelb (Shell) geteilt haben?

Opa ist der beste

Angela Christlieb, Regisseurin des Films Pandoras Vermächtnis über den Regisseur G.W. Pabst verspricht den Blickwinkel seiner Frau Trude , die zugunsten des großen Regisseurs auf die eigenen Schauspiel-Karriere verzichten musste, und seiner Enkel:innen. Aber die Figur der Regie-Ikone ist doch zu dominant. Die interviewten Enkel:innen tragen den Film, blicken aber eher durch die Bewunderungsbrille auf den Grosspapa zurück – Ehefrau Trude kommt nur zitatenweise zu Wort. Wie im echten Leben, sind entfernte Opas doch spannungsfreier als die eigenen Eltern im Naheverhältnis. Und Trudes Verzicht auf das eigene Ich wird zur Anekdote degradiert. Auf seine Art gibt der Film eine interessantes Bild, besonders wenn man Kehlmanns Pabst-Buch Lichtspiele gelesen hat. Sein Verhältnis zu den Nationalsozialisten bleibt leider Randnotiz, ebenso wie seine freiwillige Rückkehr aus dem Amerika-Exil nach Berlin.

Nice to see

Roy Lichtenstein in Wien: Die Ausstellung zu Lichtensteins 100. Geburtstag ist outstanding, mit geballter Pop Art und die beste Gelegenheit, in unseren Breiten einen der wichtigsten Künstler der Gegenwart zu erkunden. Bitte den Wien-Trip bis 14. Juli einplanen, dann ist Ende. Eine tolles Sammlerstück von Diane Waldman über Lichtenstein findest du übrigens hier.

Der große Schwof in Rostock: Eine Fotoausstellung über das Feiern im wilden Osten Deutschlands in den 80er Jahren. In der Kunsthalle Rostock, 9. Juni bis 8. September 2024. Ein jeder Hinsicht sehenswerter und notwendiger Ausflug, denn das umfangreiche Fotobuch ist leider vergriffen. Nur meinen Post zum Buch gibt es noch.

(c) 2024
Kurt Pohl

slow lane 02|23: War das ein toller Lese-Sommer! | Winter-Preview | Erstausgaben bei booklooker

Rückblick: Es gibt kaum Schöneres als sich am Meer, an einem See oder auf einer Gebirgswiese durch einen Stapel Bücher und Zeitschriften zu schmökern. Leider wird gerade die Beschaffung von Magazinen und Zeitschriften immer schwieriger:  Gruner & Jahr hat seine special interest Titel abgeholzt, und vor allem trifft es die unabhängigen little mags. Das Designmagazin form und die Naturzeitschrift Walden sind eingestellt, der Weekender ist kaum noch im Handel zu finden, mare und Monocle liegen wohl einigermaßen stabil (alle drei Titel habe ich zur Sicherheit abonniert). Das Kunstmagazin Wetter habe ich erst in der Buchhandlung Walter König entdeckt, ein wirklich tolles Magazin! Droht der Printbereich von einer digitalen Diktatur geschluckt zu werden?

Eva Menasse setzt sich in ihrem neuen Buch „Alles und nichts sagen“ mit den Untiefen digitaler Kommunikation auseinander, insbesondere mit den vorurteilsbegeisterten Social Media-Horden. Etwas wehleidig. Ist digital der böse Bruder? Aber lassen sich analoge und digitale Medien überhaupt gegenüberstellen? Es leben vielmehr die jeweiligen Eigen-, Fein- und Besonderheiten!

Ich jedenfalls will nicht alles augenzehrend auf kleinen screens lesen müssen. Und das auch noch extrem verkürzt und zugespitzt. Ich will mehr als nur Content: zu meinem Lesevergnügen gehören Haptik und Optik von Print. Fotostrecken, abwechslungsreiche Typo, angenehme, überraschende Papiere, sinnvoll und gleichzeitig sinnlich. Liebe Leser*innen, nutzt an- und aufregende Printprodukte – es kommt nichts Besseres nach. Die Geschichte von Print ist noch nicht auserzählt, Bücher, Magazine, Kalender und Notizen liefern immer neue, spannende Stories.

Jede Menge tolle Herbst/Winter-Bücher

Nachdem ich mich durch die Herbst-/Winterprogramme meiner bevorzugten coffeetabe-Verlage gewischt habe, liegen nun die ersten gedruckten Exemplare griffbereit. Genügend Beschäftigung für lange Winterabende. Oben auf meinem Stapel liegen ein Fotoband über die Feierkultur in der DDR und eine Graphic Novel über koloniale Brutalität und warten auf ihre Posts in den nächsten Wochen.

Der große Schwof begleitet die gleichnamige Ausstellung zu offiziellen und zu den viel spannenderen inoffiziellen Festen und Feiern in den DDR-achtzigern. Fotos von Maifeiern und Sportfesten, Misswahlen und Modeschauen, vor allem aber von überschäumenden und freigeistigen Privat- und Künstlerfesten. Meist mit ironischer Kamera festgehalten. – Trotz des ernsten Themas freue ich mich auch auf die exzellente und informative Rampokan – Gesamtausgabe über das Ende der langen Kolonialgeschichte der Niederlande in Indonesien. Geschrieben und gezeichnet von Peter van Dongen.

Der Winter wird bunt

Mein Fotostudio für booklooker Über die Plattform booklooker.de verkaufe ich tolle Erstausgaben aus den literarischen Epochen der letzten hundert Jahre. Wichtig sind mir aussagekräftige Fotos über Originaleinband und Umschlag, über besondere Typo, Signaturen und Abbildungen. Und vor allem über den Zustand der Ausgabe. Damit die Katze nicht im Sack gekauft wird. Mein Fotostudio ist einfach strukturiert: ein Holzstuhl, als Hintergrund ein Pappkarton mit Befestigungsklammer und eine Dose Tomaten als Buchstütze. Die Fotos schieße ich je nach Lust und Laune mit einer Leica Delux, dem iPhone X oder 15 pro. Und meist ein bisschen schief. My signature? Besucht mich doch mal bei https://www.booklooker.de/trooboox und mach eine Tour durch alle wichtigen Strömungen der Gegenwartsliteratur: Expressionismus, Avantgarde, Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik, Exilliteratur, Nachkriegsliteratur, die 68er, Beat, Punk & Pop und Postmoderne.

(c) 2023 Kurt Pohl