Daniel Dubbe entführt uns in Am Meer auf zwei griechische Inseln. Es ist eine Rückkehr zu schönen Momenten, gleichzeitig das Nachdenken über einen sanften Übergang, dem Älterwerden: „Es dunkelte schon, aber das Papier, auf das er schrieb, strahlte hell.“ Ein schöner und nachhallender Satz aus seiner neuen Erzählung.
Kleine Bücher ziehen feine Kreise
Dubbe (Jahrgang 1942) feierte im letzten Jahr seinen achtzigsten Geburtstag. In den siebziger und achtziger Jahren war er Teil der Gruppe um die Hamburger Literaturzeitschrift Boa Vista, schrieb Drehbücher, veröffentlichte in vielen little mags und legte 1973 mit Szene seine erste Prosaveröffentlichung vor. Mit dem Storyband Wilde Männer, wenig Frauen (1984) startete er seine regelmässigen Prosa-Veröffentlichungen in kleineren Verlagen. Sehr erfolgreich waren seine beiden Interview-Bücher zur RAF. Zuletzt setzte sich Dubbe in einer Biografie mit Leben und umfangreichem Werk von Hans Erich Nossack auseinander. Über Am Meer schreibt Udo Breger: „Kleine Bücher ziehen kleine Kreise, aber feine.“ Eine Übersicht zu seinen lieferbaren Büchern findest du in seinem Geburtstags-post.
Zwei Männer am Meer
Auf der Insel Mytilini begegnen wir zwei Männern. Der eine ist der Ich-Erzähler, der zweite ist N., sein zweites, distanteres Ich. In der Gleichförmigkeit der Wellen kreisen die Gedanken von Ich und N. um das Vergehen der Zeit, vor allem der Lebenszeit. „Nutzloses Denken um das Zeit-Vergehen. Wie nennt man das: Nachsinnen? Ein plötzlicher absurder Stop oder spätes Wegdämmern in biblischem Alter?“ schreibt Dubbe und wählt einen passenden Rahmen für Gedanken dieses Gewichts: die Einfachheit der Insel, eine sympathisch karge Unterkunft mit Tisch, Bett, ein paar Haken an der Wand und einer nackten Glühbirne an der Decke. Einfaches, erfreuliches Frühstück und der Fensterblick wahlweise auf Hinterhof oder natürlich aufs Meer. „Diese Art des Grübelns war genauso sinnlos wie der Blick über die leere Oberfläche des Meeres bis zum Horizont. Das Meer konnte mir auch nicht helfen, seine gleichgültige Ruhe, seine blaue Schönheit,“ schreibt Dubbe weiter.
Dennoch ist am Meer auch Platz für die Leichtigkeit am Wasser, einen Frappé zum Wachwerden, der ironische Blick auf Touristen, waghalsige Touren mit dem Motorroller über staubige Bergstrassen und durch enge Gassen. Der Erzähler trotz dem Älterwerden, wenn er sich über die Anerkennung der jüngeren freut: „Du? Du bist doch nicht alt!“ Der Rettungssatz für alle Grau- bis Weißhaarigen.
Philosophen auf dem Muppets-Balkon
Dubbe verzichtet diesmal auf sein übliches Story-Personal bestehend aus seinen Künstler-Freunden und Freundinnen. Dieses besondere Thema erledigt er quasi im Alleingang. Für Nachdenken übers Altern nimmt er lediglich philosophischen Beistand: als kommentierendes Duo gesellen sich auf dem Muppets-Balkon noch die Herren Schopenhauer und Nietzsche dazu. Es geht zwar nicht direkt um Leben und Tod, aber das Einsetzen der Dunkelheit ist ein blues-lastiges Thema mit verschiedenen Strategien – Endzeitstimmung oder Abwarten und Aussitzen oder aktive Restlaufzeit solange es die Brennstäbe noch tun.
Weiter machen, immer weiter machen
Bei meinem Geburtstagsbesuch im letzten Jahr umarmte ich – ganz geübter Südländer – Daniel zum Taxi-Abschied. Sein Körper blieb ein bisschen sperrig. Dubbe ist eben kein geschmeidiger Sylt-Hanseat, eher ein Nossack-Hanseat aus der Rothenbaumchaussee, der sich lieber weiterhin dem unbeschriebenen Blatt Papier widmet, gut so. „‚Das Meer ist nur dazu da, um es auf dem Smartphone zu verewigen‘, notiert N.“ Und das Leben ist da, um gelebt zu werden. Ein feines Buch.
Dem Verleger Ralf Friel ist ein sehr stimmiges Büchlein gelungen. Haptik und Optik schmeicheln dem Leser klar, einfach und lesefreundlich. Chapeau! Es ist ihm eine große Leserschaft zu gönnen. Für den Buchhandel und für Leserinnen und Leser gibt es das Buch hier (ralf.friel@outlook.de) und da.
Daniel Dubbe, Am Meer, 49 Seiten, Molokoprint | € 10
Nachtrag aus Hamburger Sicht: Der Redakteur des Hamburger Abendblatts, Thomas Andre, zählte Dubbes Jungfernstieg oder die Schüchternheit (2010) zu den 30 wichtigsten Romanen mit Hamburg-Bezug seit 1945 – neben u.a. Lenz‘ Deutschstunde, Fichtes Die Palette und Hans Erich Nossacks Spätestens im November. Zufall oder Seelenverwandtschaft?