Deutlich weniger Aussteller, COVID-bedingt limitierte Besucherzahlen, zaghafte Buchhändler und die einzige Warteschlange an der Currywurst Bude. Bei meinem Messerundgang am letzten Donnerstag wurde ich das Gefühl nicht los, dass die deutschen Publikumsverlage kneifen. Mutlos und nicht mal mit halber Kraft vertreten. Immerhin sind Kinderbuch-Verlage gut präsent. Sie arbeiten an der Zukunft des Buchmarkts, einige Belletristik-Verlage arbeiten in Frankfurt nicht einmal an der Gegenwart des Buchs. Es gibt (zu) viele Stände mit non books und wir entdecken wasserfeste Bücher für die Badewanne. Immerhin.
Back to Fränkfurt
Messechef Jürgen Boos markierte bei der Eröffnung: „Back to business, aber (noch) nicht back to normal“. Hat er uns verschwiegen, dass Normalität ein äusserst dynamischer Begriff ist? Natürlich lassen sich die spärlich besuchten Hallen mit der noch nicht überwundenen Pandemie erklären. Zum Planungszeitraum gab es noch weltweite lock downs, Impfanläufe, rechtliche Unsicherheiten und bis heute unterschiedliche internationale Reiseeinschränkungen. Dennoch vermisse ich bei den D/A/CH-Verlagen die Kreativität, mit dieser wagen Situation bei der Planung umzugehen. Frankfurt ist eine Standardübung für sie. Ich ringe um Luft: Messehallenluft ist an sich schon eine Herausforderung an die Atemwege, mit FFP2 wird’s nach Stunden zur Qual – so gut und sinnvoll ich die Maske finde! Eva Menasse trägt sie immerhin mit Verve. Diese Messe zeigt dramatisch, wie notwendig eine Neupositionierung der Messe ist.
Kanada macht Mut zur Literatur
Das Gastland Kanada hat diese Pandemie wirklich nicht verdient – zu schön und poetisch ist sein Pavillon: mit Kaskaden und Wellen von Wasser und Wäldern. Die Begegnungen mit kanadischen Autoren findet live und mit virtuellen 3D-Sequenzen statt. Mutig, beeindruckend und zu schade, um wieder abgebaut zu werden.
Afghanistan trägt Trauer, Russland macht auf Disko
Aausländische Verlage mit Gemeinschaftsständen sind immerhin gut vertreten: Litauen und Estland mit pfiffig eleganten Messeständen, Afghanistan trägt Trauer mit einem leeren Messestand ohne Bücher. Nur die Russen lasse ich links liegen: sie vermiesen uns für den Winter unsere Gasrechnung. . . der Stand sieht aus wie eine Berliner Russendisko der Nuller Jahre.
Klassische high quality Verlage wie Schirmer und Mosel und gestalten finde ich nur zufällig in der internationalen Halle, abseits in kleinen Kojen, als „workstations“ gebranded. Ein paar Bücher schmöker-abwehrend an der Rückwand verstaut, davor auf 5 m² ein nackter Tisch mit Stühlen. Hier wird nicht gelesen, hier wird business gemacht. Lothar Schirmer, einer der markantesten Verleger und Verlage, unterhält bei dieser Messe nicht wie bisher launig und dauersitzend in Mitten der großen Kunstbuch-Halle seine Gäste. Und bei gestalten freue ich mich auf die Neuerscheinung „What a wedding!“, über die ich in den nächsten Wochen posten möchte – leider nicht dabei gesteht die freundliche Mitarbeiterin. . . Der mit seinen Verlagsvertretungen umtriebige Mario Max meint lakonisch, „man müsse sich am Abend die Messe schön trinken“ – eigentlich müsste schon mittags damit anfangen.
trauriges Afghanistan Schmidt-Friderichs fördert Jugend Lothar Schirmer im Eck
Eigentlich wollte ich „meine“ Verlage für culture books besuchen: Kunst, Fotografie, Reisen und Lifestyle von gestalten, Hatje Cantz, Kehrer, Reprodukt, avant, Knesebeck und andere. Für eine Preview über Neuerscheinungen Herbst/Winter und damit eine quick and dirty-Vorschau auf meine trooboox-posts der nächsten Monate. Schnelle Fotos, flotte Kurzkritiken. Aber fast keine Verlage da.
Buchmesse, Verleger, Handel und Medien müssen hybride Ideen für einen neuen Marktplatz entwickeln. Ausser mit Leipzig ist – auch digital – noch kein Event vorhanden, der sich kommunikativer Stärke nur annähernd mit der „alten“ Buchmesse messen kann. Einen Buchtitel für diese neue Messe hätten wir schon: vom Suchen und Finden der neuen Normalität.