Alles, was unser Leben sprizziger macht: The Monocle Book of Italy.

 

Das Team des Monocle-Magazins gestaltet sein Book of Italy wie eine Fahrt im high-speed Zug Frecciarossa durch Italiens Kultur, Kulinarik und Lifestyles. Mein persönliches Italien ist nicht so üppig wie das Buch: die Schallplatten von Lucio Battisti, ein klassisches Rennrad von Tommasini, Pasta von kleineren Manufakturen.und vor allem die Bialetti-Moka – gezeichnet von hunderten Espresso-Einsätzen auf unserem Wiener Gasherd.

Halb verfaulter Hai oder lieber Zuppa di pesce?     

Gleich auf den ersten Seiten stellt Monocle-Chef Tyler Brûlé die Killer-Frage: Wenn wir für den Rest unseres Lebens nur noch eine Landesküche hätten, welche wär’s? Island fällt in dieser Frage schon mal aus dem Rennen: wer will  schon sein Leben lang vergorenen und für Monate in der Erde vergrabenen Hai namens Hákarl auf dem Teller? Also lieber Essen vom Italiener – und das am besten in Italien. Ein Fazit gleich zu Beginn: The Monocle Book of Italy zeigt, dass kein anderes Land unsere Alltags-Träume vom guten und schönen Leben erfüllt wie eben Italien.

Zur richtigen Zeit die Uhr anhalten

Die Herausgeber Chiara Rimella und Joe Pickard  unternehmen mit The Monocle Book of Italy eine Rundreise durch alle Lifestyles. Auf ihrer Grand Tour durch den Stiefel reisen sie durch die Vielfalt der Regionen und geben ein look and feel der wichtigsten Metropolen von Bozen bis Palermo. Das Kapitel Design belegt, dass Minimalismus keine Italienische Strömung ist. Alle Design-Ikonen, die wir täglich zuhause und im Büro nutzen, haben neben der Funktion immer auch etwas spielerisches in Form und Farbe. Italienisches Design zielt auf ein Lächeln bei der Nutzung. Übrigens: der Schnellzug Frecciarossa wurde im Turiner Studio Bertone designt – auch verantwortlich für die legendäre Guilietta von Alfa Romeo. Und flux geht’s zum Kapitel Mobilität: Boote der Marke Riva und sportive Autos machen uns neidisch, die Dauerbrenner von Vespa bis zum Lasten-Dreirad Ape – dem Klassiker in vielen Schwarzweiss-Filmen. Nur Alitalia ist inzwischen Geschichte. Ich erinnere mich gerne an die Reise von Bari nach Venezia, stundenlang zieht die Adria am Fenster des Schnellzugs vorbei.

Das Geheimnis der Italiener*innen liegt darin, im richtigen Zeitpunkt die Uhr anzuhalten: ein Zwischenstopp auf der Piazza, am Strand zwischen bunten Sonnenschirmen und immer Zeit für einen caffè al banco im Stehen.

Mode-Start-ups in der Provinz sind alles andere als provinziell!

Wie immer hat das Monocle-Team hat ein gutes Gefühl dafür, die richtigen Menschen aufzuspüren, an längst bekannten Orten neues zu entdecken und Stimmungen zu vermitteln. Beispielsweise ein Besuch bei Gabriele Gmeiner, Schuhmacherin in Venedig. Bei ihr wartet man gerne zwölf Monate auf ein Paar handgefertigte Massschuhe. Und abseits der Metropolen entdeckt Monocle unabhängige Modelabels wie Zoe (Bassano del Grappa) und Sugar (Arezzo). Spannend ist auch die Übersicht, wie sehr italienische Markenprodukte unseren tristen Alltag erhellen: von Alessi über Nutella bis zur Vespa. Gut, wichtig und schön. Immer erfinden Italiener*innen Sachen, die unser Leben angenehmer und sprizziger machen. Das gilt besonders für das Kapitel Hospitality/Gastfreundschaft mit vielen Highlights der italienischen Küche. Wenn Lesen satt machen könnte. . . Zusätzlich gibt es Tipps für essentials im Vorratsschrank für graue Wochenenden. Rechtzeitig die Regale auffüllen. Das Book of Italy ist vor allem ein Bilderbuch über das angenehme Leben, die ergänzenden – englischen – Texte haben meist Cappuccino- oder maximal Aperol-Länge.

Die Texte haben Cappuccino-Länge

In der B-Note bekommt das Buch minimale Abzüge: es beantwortet nicht die Fragen, warum Korruption jährlich Milliarden Schäden anrichtet oder wie es sein kann, dass die italienische Nation seit 1946 sechsundsechzig Regierungen verschlissen hat. Gut, das sind Fragen, die man seinem coffeetable üblicherweise nicht stellt. Dafür punktet das sehr abwechslungsreich gestaltete The Monocle Book of Italy bei unseren Erwartungen an italienisches Leben: fare una bella figura. Gerade, wenn es bei uns kalt und nebelig ist.

Chiara Rimella, Joe Pickard (Hrsg.): The Monocle Book of Italy, 294 Seiten, € 65 | in deiner Lieblings-Buchhandlung oder hier.

(c) Kurt Pohl 2021

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