Kategorie: Fotografie | Film

Macht Volksmusik wirklich glücklich?

[boostyourcoffeetable: Wir müssen nicht alle Bücher lesen. Oft genügt es, dass wir sie haben, darüber reden und zeigen. Von der Decke hängend, in einer geöffneten Schublade, ganzjährig auf der Terrasse oder eben auf dem coffee table.]

Volksmusik von Lois Hechenblaikner: , 152 S., 120 Fotos, Steidl Verlag | € 38.-

Was du über das Buch Volksmusik wissen solltest.

Seit Jahren beobachtet der Tiroler Lois Hechenblaikner mit seiner Kamera, wie Tourismus und mehr noch die Touristen seine Heimat verändern. Zu dieser Feldforschung gehört auch der Besuch von volkstümlichen Konzerten und Hansi Hinterseer-Wallfahrten. Dort porträtiert er mit professionellem Respekt die Besucher, vorrangig aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wie alle Fans suchen sie Halt in der Gemeinschaft Gleichgesinnter und hoffen, dem Dilemma des Lebens außerhalb der seichten Liedzeilen und Harmonien zu entfliehen. Den Einheimischen bleibt da nur die Flucht, sofern sie nicht an den Events mitverdienen.

Warum passt Volksmusik auf deinen coffee table?

Um sie zu schonen, hält Hechenblaikner größtmögliche Distanz zu den Fotografierten. Dennoch sind viele der volkstümlichen Fans einfach zu crazy: in ihren Fantasy- und Pseudo-Trachten kostümiert entbehren sie nicht ungewollter Komik. In ihren Gesichtern ist abzulesen, wie schwierig es ist, das Leben so lieblich wie in Gabaliers Schlager Hulapalu zu gestalten. Aber die Fotos bieten uns auch Trost: das Dilemma haben immer die anderen.

Der beste Platz für Volksmusik:

Den mutig schrägen Fotoband im Eingangsbereich platzieren. Du kommst nach Hause und bist sofort in Feierabendlaune, eintreffende Gäste führt er gleich mal aufs Glatteis. Meine Lieblinge sind die Seiten 55 und 81. Volksmusik verdient vier von fünf coffee tables.

Alle Fotos aus Lois Hechenblaikner Volksmusik verlegt bei Steidl.

Leben „to go“: die besten Fotos liegen auf der Straße.

Bis 16.Februar sind die besten Straßenfotografien im Kunst Haus Wien versammelt. Keine Zeit für die Ausstellung? Nicht weiter schlimm!  Das Buch zur Ausstellung Street.Life.Photography bleibt und zeigt neben Stars des Genres wie Martin Parr, Robert Frank, Lee Friedlander und Diane Arbus auch jüngere Fachkräfte wie der Deutsche Siegfried Hansen und Maciej Dakowicz, der v.a. in Asien arbeitet.

Straßenfotografie ist das Road Movie unter den Fotografie-Genres und hat ihren besonderen Reiz: kein Studio, knappes Budget, kein oder wenig künstliches Licht, keine Zeit für langwierige Inszenierung, stattdessen Konzentration auf den Augenblick und auf Zufälle. Das Studio ist der öffentliche Raum. Oft entstehen darin subjektive Schnellschüsse von Alltagsszenen und eindrucksvolle Porträts.  Das Buch mit knapp 200 schwarz-weiss- und Farbfotos aus den letzten 70 Jahren gliedert die Fotografien in Sektionen wie Public Transport, Street Life, Urban Space, Anonymity und andere.  Sie zeigen Strassenszenen, die all unsere  Lebenslagen abbilden:  Eitelkeit, Bewegung, Essen, Sex, Stillstand, Sport und Spiel, Warten, Architektur, Politik, Frust, Einsamkeit und auch Langeweile. Auf dieser Bühne sind wir gleichzeitig Zuschauer und Akteure, oft unfreiwillig, manchmal voyeuristisch.

(c) Siegfried Hansen

Einiges im Buch erinnert an Szenen, die wir so oder ähnlich selbst schon erlebt, aber nicht wahrgenommen haben. Zufälle, die wie eine Inszenierung wirken. Es ist nicht ganz billig, dafür schön gemacht und mit einer umfassenden Auswahl. Darin schmökern deine Gäste bis der Risotto fertig ist. Lass dir ruhig Zeit mit der Zubereitung. Den richtigen sound dazu liefert immer noch Randy Crawford.

Street. Life. Photography,  € 49,90 | [Anzeige] in deiner Buchhandlung oder bei oder hier.

Auf ein Schalerl Kaffee in Wien: Wim Wenders eröffnet Fotoausstellung und fügt der Henne/Ei-Frage eine 3. Dimension hinzu.

Anlass für seinen Wien-Besuch ist die Retrospektive von ca. 30 Filmen und die Ausstellung von 70 Fotoarbeiten aus seinen frühen Jahren bis Anfang der 1980er. Bei einer Tasse Kaffee auf der Bühne des METRO Kinokulturhaus streift Wim Wenders durch Malerei, Musik, Photographie, Film und seine Reisen.

Auf die Henne/Ei-Frage, ob denn zuerst die Geschichte oder das Bild am Anfang seiner Projekte stehen, antwortet Wenders: „Mich interessiert der Ort, an dem die Henne das Ei legt. Geschichten müssen zu einem Ort passen, Orte erzählen ihre Geschichten und spielen für ihn die zentrale Rolle.“ Das spürt man beim Gang durch die Ausstellung: Wenders zeigt meist Orte, die eine Geschichte erzählen.

 

Zuvor erklärt Wenders, dass ein schnell abgebrochenes Studium der Malerei ihm den Weg zu Photographie und Film wies. Daher der frühe Einfluss durch Hopper und Wyeth. Die ausgestellten Fotos zeigen viel Landschaft (meist USA, auch Australien), Zufallsbegegnungen, Porträts seiner Begleiter und Locations.

Viele Bilder wirken wie photographische Notizzettel, gerade weil fast ausschließlich Motive auf Polaroids vertreten sind. Über zehn Jahre arbeitete Wenders nur über Polaroid-Fotos: auf seinen Reisen, bei der Motivsuche und am Filmset. War die Photographie in seinen jungen Jahren vor allem ein neuer Akt des Sehens (Abzüge interessierten ihn nicht, abgesehen davon, dass sie ihm zu teuer waren), hielt er beim Polaroid-Foto das Abbild der Realität  in Händen. Aus heutiger Sicht waren Polaroids für ihn ein erstes soziales Medium: sie waren sofort verfügbar, man konnte teilen – d.h. gemeinsam betrachten und sie sogar verschenken, weil sie eben ein Objekt waren.

Heute erkennt Wenders, dass sich sein Film „Der Stand der Dinge“ selbst widerlegt hat. Ebenso wie mein (damaliger) Lieblingsfilm „Der Stand der Dinge“ als Abgesang auf das Kino gedacht, folgte auf diese Phase seine größte Produktivität: ohne seine endzeitlichen Filme hätte es „Paris, Texas“ nicht gegeben.

Dem heutigen klassischen Kino kann Wenders wenig abgewinnen: vor allem Fantasy-Stoffe werden erzählt, ohne Bezug zu konkreten Orten. Er wird sich weiterhin Dokumentarfilmen widmen, „die machen mehr Spaß“ lächelt er und bedankt sich.

Die Ausstellung WIM WENDERS – FRÜHE PHOTOGRAPHIEN 60ER – 80ER JAHRE ist bis 9. Juni 2019 im METRO Kinokulturhaus Wien. Täglich von 15 bis 20 Uhr. Gleichzeitig stellt seine Frau Donata Wenders bis Mitte Februar Photographien in Graz aus.

Sein Buch SOFORT BILDER  findet ihr hier.