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Polaroid is back in town

Wenn Peek & Cloppenburg Polaroid-Kameras vertickt, ist wieder einmal ein kultureller Trend in der Mitte der Gesellschaft detoniert. Die Sofortbildfotografie ist im Fokus der Kulturszene zurück (siehe unten auch Wim Wenders). The Polaroid Project ist nicht nur eine absolut sehenswerte und erfolgreiche Ausstellung, das zugehörige reich bebilderte Buch begeistert: es enthält über 300 Werke bedeutender Künstler und ist der informativste Reiseführer durch die Polaroidwelt. Was macht die Faszination der Sofortbilder für Künstler aus? Im Digitalzeitalter sicher die Anti-Digitalität: Der Effekt ist zwar you-get-what-you-see analog der smart-Technologien, aber das Ergebnis bleibt ein Unikat. Sehr schnell erkannten weltweit Künstler das kreative Potenzial der Polaroids und trugen damit in den 70er und 80er Jahren zur schnellen Verbreitung bei: David Hockney erstellt ein Mosaik aus einzelnen Fotos, Robert Mapplethorpe macht Akt-Selbstbildnisse und Warhol lässt sich von Oliviero Toscani mit einer Sofortbild-Kamera  in  der Hand ablichten. Just in dem Augenblick, in dem ein Warhol-Selfie den Schacht verlässt. Ergänzt wird das Mammutwerk durch technische Informationen zu Kameras und Entwicklungen. Auch wenn es längst Fake-Apps (mit SX 70-sound und integrierten Fingerabdrücken) gibt, nur das echte Polaroid fasziniert. Das Buch verrät uns auch, dass das Fächeln des frischen Abzugs unnötig ist – obwohl ein wunderbarer Pola-Ritus. Einer der Kuratoren ernüchtert  uns mit einer lapidaren Feststellung:  „Aber alle Welt glaubte das. Ich vermute, dass die Menschen das aus Ungeduld gemacht haben. Selbst das Sofortbild war ihnen noch zu langsam.“

DAS POLAROID-PROJECT   Die Eroberung durch die Kunst  € 49,90 | click.  bis 17. Juni ist im Hamburg Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung The Polaroid Project zu sehen. > ausserdem unbedingt besuchen: Galerie Westlicht, Wien

Ein Buch über die dunkle Seite der Architektur

Für dieses Buch spar ich mir den Witz über Schwarzbauten. BLACK ist ein Bildband über Häuser in einer Farbe, die für viele keine ist: schwarz. Über 150 Beispiele aus 1000 Jahren belegen, dass Häuser nicht weiss, grau oder beige sein müssen. Schwarze Häuser sind extravagant und schlicht zugleich, in jedem Fall – wenn es die lokale Bauordnung zulässt – sehr akzentuiert. Sie wirken geheimnisvoll, mitunter düster und unnahbar, vielleicht ist es deshalb die Farbe von vielen Bürogebäuden. Unter den abgebildeten Häusern sind Bauten bekannter Architekten wie Mies van der Rohe, es gibt aber auch viel neues und unbekanntes zu entdecken. Die Autorin hat mit Kirchen, Bibliotheken und Museen viel öffentliches und imposantes schwarz zusammengesammelt. Ein richtig überraschendes Exponat hat Stella Paul zwei Stunden nördlich von New York entdeckt. Die Villa Peakock Hill des exzentrischen Künstlerpaares Rob Pruitt und Jonathan Horowitz erinnert an Hitchcocks Psycho – ein Haus als bewohnbares Kunstwerk. Schwarz ist also doch eine richtig gute Hausfarbe!

Das Buch ist nicht nur wegen des schwarzen Umschlags und den überraschenden Häusern ein Gewinn, auch die Texte können sich lesen lassen. In Summe ist das Buch ist für uns alle, die schwarze Häuser supercool finden, dann aber ihrem Maler sagen „nee, doch lieber nich.“ Wozu gibt es schließlich schwarze Legosteine!

Stella Paul, Architecture in Monochrome, € 28,99 | click.

Ein Buch über die Wurst als deutsches Kulturgut

Das ideale Mitbringsel fürs nächste Wurstschnappen. Wieder so ein Buchtitel, der die Rezensenten  zu Wortspäßen animiert:  dem Mann ist alles wurst. . . Aufschnitt für alle. . .  gut gewürzt und so weiter. Ich füge einen weiteren dazu: ein sattes Buch! Dabei hat der Kunsthistoriker Wolfger Pöhlmann nur im Sinn, in einer sich veganisierenden Gesellschaft der kulturelle Bedeutung der deutschen Wurstvielfalt den gebührenden Platz zuzuweisen. Knapp 30 kg Wurst wandern jährlich in einen deutschen Magen, lediglich vier Prozent der Bevölkerung lassen völlig die Finger von Fleisch und Wurst. Als ehemaliger Ausstellungsmacher und Kulturmanager für das Goethe-Institut weiß Pöhlmann, wie man unseren soziokulturellen Alltag schmackhaft aufbereitet (Wortspiel!). Sein Verlag merkt an, dass er sich seit seiner Kindheit leidenschaftlich für Wurst, Wurstmacher und das Wurstwissen interessiert. Dafür bietet das Buch sehr viel Hintergrundwissen zu Rezepturen und regionalen Besonderheiten, zur geschichtlichen Enzwicklung der Wurstwaren und gibt jede Menge Tipps für den richtigen Einkauf und zu guten Metzgern.  Wir goutieren Wissenswertes, wie die Antwort auf die Frage, warum Weißwürste weiß sind und nicht die übliche rötliche Wurstfärbung haben: bei ihnen fehlt die Zugabe des färbenden und haltbarmachenden Pökelsalzes.

Pöhlmann arbeitet mit fundiertem Lebensmittelwissen, umfangreichen, persönlichen Recherchen ohne Angst um die eigenen Cholesterinwerte und einem ausgewachsenem Appetit auf das deutsche Grundnahrungsmittel. Die Grundbotschaft lautet: Haltet die regionalen Fleischer und Metzger in Ehren! Mit der Massenware droht der Verlust einer unserer nationalen Identitäten.  30 Kilo Wurst pro Jahr sind auch ein Kulturauftrag! Einer der kulturellen Höhepunkte des Buchs ist ein poetischer Zweizeiler des Duisburger Marktschreiers  „Wurst-Achim“: „Wenn Achim seine Tüte packt, steht Aldi kurz vorm Herzinfarkt“.  In diesem Sinne ist das Buch unterhaltsam, interessant und natürlich appettitanregend.

Wolfger Pöhlmann, Es geht um die Wurst – Eine deutsche Kulturgeschichte, € 26 | click.