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Wild at heart – tiefe Einblicke in den Bayerischen Wald

Von außen wirkt der Bayerische Wald mächtig und gelassen, aber im inneren tobt mit mehr als 11.000 Tier- und Pflanzenarten das Leben.  Auf meinem coffeetable liegt das Buch Wilder Wald voller wissenswerter und überraschender Informationen. Mit viel Empathie und Ideen hat die Journalistin Alexandra von Poschinger ein ausgesprochen schönes Buch zum 50. Geburtstag des Nationalparks Bayerischer Wald geschrieben und zusammengestellt. Mit besten nature writing geht sie der Wildheit das Parks auf die Spur, gleichberechtigt ergänzt durch eindrucksvolle Fotos des langjährigen Nationalpark-Flaneurs Rainer Simonis. Beim ersten Schnelldurchgang fallen mir neben der Vielfalt der Beiträge die vielen Interviewpartner auf: so viele Prominente – ob das gut geht?

Deutschlands erster Nationalpark

Vor fünfzig Jahren wurde gegen den heftigen Widerstand der ansässigen Bevölkerung und Wirtschaft ein mittlerweile fast 25.000 Hektar großes Gebiet des Bayerischen Waldes zum Nationalpark gewidmet. Stein des Anstoßes und revolutionärer Ansatz war das Ziel, nicht in die Entwicklung der Natur einzugreifen: „Natur Natur sein lassen“. Etwa 1,4 Mio Besucher sehen sich den wilden Wald  in jedem Jahr an der Grenze zu Tschechien an. Sie kommen zum Schauen, Wandern, Biken, Entspannen und Eintauchen.

Ein Buchgeschenk zum Jubiläum

Das Buch zum Jubiläum des Parks ist von der ersten Seite an ein angenehmes Leseerlebnis: wertiges Papier, nachhaltig gedruckt. Inhalt, Optik und Haptik sind fein aufeinander abgestimmt. Ein kurzweilig  feuilletonistischer Mix aus Reportagen, Porträts, wissenschaftlichen Informationen, Geschichten aus dem Nationalpark-Alltag und vielen, in Summe zu vielen Interviews.  Einige Beispiele: Josef Käser (ja, der Siemens-Joe) hat sich im Bayerischen Wald gleich einen 1133 m hohen Hausberg gekauft – weil er ihn so mag (logisch!). Die Europa-Abgeordnete Sarah Wiener hingegen findet die Geschehnisse in unserem Darm ganz wichtig und drückt sich bei der Frage nach einem Jubiläumsmenü zur Fünfzigjahrfeier. Und very weird schießen die Aussagen von Jägerin Gloria von Thurn und Taxis an der Gegenwart vorbei: mit Verweis auf katholischen Katechismus und Tugendlehre sieht sie  in der gleichberechtigten Sicht von Tier- und Pflanzenwelt  die Handschrift des Teufels. Im Verhalten von Raubtieren und „archaischen Naturvölkern“ erkennt man, „dass die Natur von uns Menschen gebändigt werden muss“. Von wegen Natur Natur sein lassen. Einige der Interviewten präsentieren sich vor allem sich selbst. Gut gefragt, schlecht geantwortet.

Im Totholz tobt das Leben

Gehen wir schnell zum dicken Plus des Buchs: den interessanten, informativen und faszinierenden Passagen. Wir erfahren viel über den Wald als Wasser- und Luftspeicher und wie er sich in den kommenden Jahren auf Klimaveränderungen einstellen wird. Auch dabei wird sich der Wald selbst helfen (müssen). Ein anderes Beispiel: mit 2.500 Pilzarten (und es werden noch mehr) ist der Park eines der wichtigsten Pilzreservate Europas. Sie bilden ein gigantisches Versorgungs- und Kommunikationsnetz im Waldboden. Viele Arten bleiben erhalten, weil der Mensch nicht in die Abläufe eingreift. Bis hin zu Schleimpilzen, die sowohl Eigenschaften von Pflanzen als auch Tieren besitzen. Auch wenn ich mich über einen Steinpilz an der Oberfläche noch mehr freue.

Wir lernen einen interessanten Urwaldkäfer (einer von mehr als 2.000 Arten) kennen, der über den angrenzenden Nationalpark Sumava nach über 100 Jahren wieder aufgetaucht ist. Wie überhaupt der Bayerische Wald ein Beispiel für die internationale Zusammenarbeit ist und als Blaupause für andere Nationalparks an Bedeutung gewinnt. Und da ist noch das das leidige Thema mit dem Borkenkäfer, der bewusst nicht bekämpft wurde. Durch die Invasion der Killer-Käfer wurden riesige Waldstücke vernichtet. Das daraus nach einigen Jahren entstandene Totholz gehört mit zum lebendigsten, was der Wald zu bieten hat, denn in ihm beginnt neues Leben. Anfang der neunziger Jahre wanderte ich deprimiert durch eine weiss-graue Mondlandschaft voller abgestorbener Bäume rund um den Rachel. Gut zwanzig Jahre später dann ein glücklicher und anstrengender Gipfelweg durch frisches, neu entstehendes Grün. Der Wald nimmt sich die Zeit, die er eben braucht.           

Düster, aber kein Mythos mehr.

Die zahlreichen Fotos von Rainer Simonis geben uns einen Vorgeschmack von dem, was wir – eventuell mit viel Glück und Geduld – im Wald erleben dürfen. Simonis war bis vor kurzem in der Parkverwaltung beschäftigt und ist damit ein täglicher Beobachter des Waldlebens. Er zeigt Tiere und Landschaft in allen Facetten: von putzigen Baby-Luchsen bis zum gerissenen Wild als Futterquelle, zeigt totes Holz und lebendigstes Grün. Die Fotos strahlen die Ruhe des Waldes aus und tun dem Buch gut.

Adieu Mythos Wald

Das Buch liest sich wie ein dickes, unterhaltsames und informatives Magazin. Von Poschinger ist es nicht nur gelungen, viele spannende Themen im Buch unterzubringen, sie hat auch die Stimmung des Bayerischen Waldes für uns eingefangen. Wald macht glücklich und zufrieden, das motiviert. Die Autorin zieht den dunklen, deutschen Wald vom Mythos-Sockel, denn trotz des vielfältigen nature writing wird er immer noch unter Wert genutzt. Durch Wilder Wald wird er zum zeitgemässen Erlebnisraum. Wer ihn erkundet, darf einiges erwarten:  Die Luft bläst einem dem Kopf frei, abwechselnd Stille und glucksende Waserläufe sind der richtige sound für gute Gedanken. Und mit etwas Glück findet man noch Funklöcher, die einem absolute Ruhe bescheren. Wir müssen ja nicht jeden Baum einzeln umarmen.

Alexandra von Poschinger/Rainer Simonis, Wilder Wald | 224 S. mit vielen Farbabbildungen | € 40

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist hacks-dog-2-e1521995622905.jpg
(c) Kurt Pohl 2020

Alexandra von Poschinger/Sankt Oswald antwortet trooboox/Wien:

Von welchem magischen Platz im Nationalpark strömt für dich meiste Kraft aus?

Das Urwaldgebiet Watzlikhain ist für mich einer der magischsten Orte im Nationalpark Bayerischer Wald. Die jahrhundertealten Baumriesen strömen eine irre Urkraft aus.

Lässt sich die umzäunte Gehegezone in einem völlig naturbelassenem Wald in unseren 20er Jahren noch sinnvoll aufrecht erhalten?

Vielleicht ist die Gehegezone am Nationalparkzentrum Lusen nicht mehr ganz zeitgemäß. Sie stammt aus den 1970er Jahren und würde heute bestimmt anders, noch großzügiger konzipiert. Ich bin selbst hin- und hergerissen, ob ein Zoo mit der Philosophie eines Nationalparks einhergehen kann, komme aber zu dem Schluss, dass die Besucher der Gehegezone schon auch sehr viel über Artenschutz und -reichtum mit nach Hause nehmen – sicher mehr, als sie sich aus Büchern aneignen würden.

Dein Buch wirkt wie ein dickes Magazin und ist damit sehr kurzweilig. Ist das auch die Form für dein nächstes Projekt? Kannst du etwas darüber verraten?

Der sprachliche Duktus meines Buchs ist bewusst ein feuilletonistischer. Das Feuilleton ist ja auch das journalistische Ressort, aus dem ich komme. Ich wollte mit der Tradition brechen, wissenschaftliche Themen auch wissenschaftlich zu formulieren. Stattdessen glaube ich, mit meinem Schreibstil ein breiteres Publikum zu erreichen – was mir schon sehr wichtig ist, betreffen Themen wie Natur-, Umwelt-, Klima- und Artenschutz doch uns alle.

Ich habe ein nächstes Buch im Kopf, möchte dazu aber noch nichts verraten. Alter Autorenaberglaube!

Meine Lieblingstouren sind der Rachel über den Klingenbrunner Steig und die Hochschachten. Dein Wander-Tipp?

Ich schließe mich Deiner Lieblingstour zu 100 Prozent an. Das nächste Mal wandern wir am besten zusammen.

Zum Jubiläumsmenü für 50 Jahre Nationalpark fallen mir geräucherte Ilz-Forelle mit einer Art Waldkräuter-Marinade, Schwammerl mit Semmelknödel und abschießend gezuckerte Schwarzbeeren mit Milch ein. Wie sähe dein Festtags-Menü aus?

Auf meinem Speiseplan zum Jubiläum stehen ein Steinpilzsülzchen als Entree, Entrecote vom Hirschkalb als Hauptgang und ein Rauschbeereneis an Fichtennadelsirup zum Dessert. Ein Gläschen Gin aus acht Bayerwald-Botanicals  aus der familieneigenen Edelbrandmanufaktur, setzt dem Geburtstagsessen natürlich die Krone auf.

PS: wenn ich im Bayerischen Wald wandere, übernachte ich gerne hier: Hotel St. Florian, Frauenau (unentgeltlicher Tipp!)

90 Minuten Wald am Wörthersee. Eintritt frei.

Das Wörthersee Stadion in Klagenfurt hatte bisher wenig zu lachen. Zur Fussball-EM 2008 für 66,5 Mio € und drei Vorrundenspiele erbaut, ist es für den Zweitligisten SK Austria Klagenfurt mit 30.000 Plätzen überdimensioniert. Nicht nur über die Finanzierung legte sich damals der schwere Schatten des damaligen Landeshauptmanns (= Ministerpräsident) Jörg Haider. Das Stadion sah immerhin die 1:2-Niederlage Deutschlands gegen Kroatien, die 0:1 Niederlage Österreichs gegen das deutsche Team blieb dem Stadion erspart. Diese war den Wienern vorbehalten. Zur Zeit sieht man im Wörthersee Stadion den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Bis Ende Oktober ist die temporäre Kunstintervention FOR FOREST – „Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur“ von Klaus Littmann zu sehen. Der in Basel lebende Beuys-Schüler Littmann ist auf Kunstprojekte der Alltagskultur im öffentlichen Raum spezialisiert. Grundlage für diese Intervention war eine Bleistiftzeichnung des österreichischen Künstlers Max Peintner (*1937) aus den Jahren 1970/71. Die Zeichnung zeigt den Wald als urbanes Ausstellungsstück.

Bereits 2013 konzipiert, trifft die Aktion den Nerv der Zeit: in Sibirien und Brasilien wird thermisch abgeholzt, in Rumänien werden mehr Bäume als zulässig geschlagen, bei uns sterben wieder reihenweise Bäume durch Monokultur, Trockenheit und Schädlinge. Aktionen, Proteste und Bewegungen zur Umkehr beim Klimawandel beeinflussen unser politisches und ökonomisches Klima.

In Klagenfurt ist von den Zuschauertribünen aus auf dem Spielfeld ein Mischwald zu sehen oder vielmehr ein Ensemble aus 299 Bäumen. Denn auch ein prominenter Landschaftsarchitekt wie der Schweizer Enzo Enea kann nur ein Bild eines Waldes gestalten. Nur der Wald kann einen Wald formen. Dem reality check hält der Stadion-Wald nicht ganz stand: der Waldboden ist ordentlich mit maschinell gehäckseltem Rindenmulch bedeckt, die Waldränder mit perfekten Gärtnereifarnen und -gräsern umfasst. Buschwerk steht ordentlich zwischen Birken, Erlen, Buchen, Ahornen und Eichen. Wenn Kunst die Wirklichkeit abbildet, ist immer auch Täuschung im Spiel. Über Kunst und ihre „fake views“ siehe auch Die Lust der Täuschung.

Die Anreise nach Klagenfurt (möglichst per Bahn) lohnt sich doppelt. Alles, was uns die kritische Klimasituation vor Augen führt ist mehr als sinnvoll. Gut wäre ergänzend folgende Aktion gewesen: 25.000 Waldfans mit Schals (gibt’s im Fanshop im Stadion!), Fahnen und Bengalos feiern neunzig Minuten den Wald mit live-Übertragung. Die negative Utopie eines Waldes als Ausstellungsstück hilft der Diskussion und hinterlässt auch in der Nordkurve Eindruck. Das ist die eine positive Seite der Aktion. Und andererseits fahren wir durch den Waldreichtum Kärntens und der Steiermark. Wir geniessen dichte und unendliche Tannen- und Mischwälder, sicher voller Waldtieren, Pilzen, Beeren, Totholz und unordentlichem Naturchaos. Die Reise unterbrechen, aussteigen und zur Verlängerung durch den Wald streifen. Den echten.

FOR FOREST Die ungebrochene Anziehungskraft der Natur | bis 27. Oktober 2019

Kühe pupsen nicht nur für’s Ozonloch. Ohne sie gäbe es uns gar nicht!

Natur- und Tierbücher über Bienen und Bäume sind gerade angesagt: Nature Writing. Höchste Zeit also für einen fetten Bildband über Kühe und Rinder! „Die Kuh. Eine Hommage“.

Unsere gängigen Haustiere Hühner, Hunde, Katzen, Schweine und Gelbhalswassernatter – alles ok. Aber kein Tier ist und war für den Menschen so wichtig wie die Kuh. Ihr Fleisch lieferte Proteine zur Entwicklung des Gehirns unserer fernen Vorfahren, ihre Milch nährt unsere Nachkommen, ihr Fell wärmt uns oder schmückt unsere Autositze. Auf jedem Fleckchen unserer Erde.

Dem österreichische Bio-Pionier Werner Lampert (Jahrgang 1946) ist die Initiative und die Struktur dieses beeindruckenden Buches zu verdanken. Lampert hat schon in den 60er Jahren Nachhaltigkeit zu seinem Lebens- und Geschäftsmodell gemacht. U.a. entwickelte er erfolgreiche Bio-Produktlinien für zwei österreichische Supermarkt-Ketten. Mit einem Team von Fotografen und Redakteuren hat er wirklich alles zum Thema Kuh zusammen getragen. Faszinierend und informativ macht das Buch Lust auf Wissen.  

Dabei sind die Kauer mit vier Mägen unter Städtern nicht unumstritten: etwa alle 40 sec. sucht sich bei der Kuh Methangas den Weg ins Freie, ca. 300 l kommen so täglich pro Kuh zusammen. Die Massenhaltung von Turbokühen zur Deckung des Fleischbedarfs hat diesen Ausstoß verschärft, die nachhaltig gehaltene Weidekuh ist kein Klimakiller. Und die Fladen ihrer Verdauungsreste dienen der ökologischen  Energiegewinnung. Unsere Klimaprobleme entstehen immer aus Maximierungs- und Optimierungswahn.

Da liegt nun ein dreieinhalb Kilo Bildband mit fast 500 Seiten im Großformat. Werner Lampert hat Unmengen an überraschendem Wissen zusammen getragen: so z.B. über die Rasse Sacha Ynaga im nordsibirischen Jakutien. Sie halten übers Jahr 100 Grad Temperaturdifferenz aus und geben noch bei Minustemperaturen über 60 Grad lebenswichtige Milch aus ihrem umfellten Euter.

Kühe und Rinder sind leider grausame Beispiele für die Optimierung unserer Nutztiere: eine Hochleistungskuh gibt bis zu 20.000 l Milch im Jahr, lebt allerdings nur vier bis fünf Jahre. Die „analoge“ Kuh etwa 6.000 l mit einer Lebenserwartung von 20 Jahren. Das zeigt das Buch: Lampert ist ein Verfechter für Tierhaltung in ihrer natürlichen Umgebung. Mit großer Empathie und Liebe für Tier und Halter sieht er Kühe nicht als Nutztiere sondern Gefährten.

Wir erfahren in dieser Hommage alles über Abstammung, Lebensraum, Bestände, ihr Wesen und ihre Besonderheiten. Spannend sind auch die Verbreitungswege über die Ozeane hinweg. Die Fotos sind durchwegs hervorragend, manche verlieren durch übermotivierte Bildbearbeitung etwas von ihrer natürlichen Ausstrahlung. Wenn Hintergründe zu stark abgesoftet oder Rinder zu stark konturiert werden. Aber immer zeigen sie Würde, Gelassenheit und Einzigartigkeit der Tiere.

Das Buch ist gleichermaßen für Wissensdurstige und Ästheten. Von wegen blöde Kuh! Ihr einzigartiger Blick betört uns, Kühe sind einfach kuhl.


(c) teNeues

© Die Kuh – Eine Hommage von Werner Lampert, erschienen bei teNeues, € 49,90, www.teneues.com

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