Unter dem Motto „Erstausgaben, die Freude machen“ platziert der Bücherfan Kurt Pohl auf der Plattform booklooker einen Großteil seiner Sammlung mit Literatur von 1900 bis zum Jahr 2000. Hier stellt Hanni Luckner Fragen an den Kurator von trooboox [tru:buks].
Bücher sind je eher old fashioned, das klassische Buchregal auch kein Interior-Highlight mehr. Wie kam’s zu deiner platzfressenden Sammlung?
Das Jahrhundert von 1900 bis 2000 wurde durch zwei Weltkriege und mehrere gesellschaftliche Um- und Aufbrüche geformt. Das brachte aufregende literarische Strömungen mit sich: die Achse der Moderne Berlin – Wien, die Weimarer Jahre, Exilliteratur der verfolgten und verbotenen Schriftsteller, der zaghafte Nachkriegs-Aufbruch der Gruppe 47, die Bücher der 68er-Autoren und der Beat- und Popgeneration (die alles auf den Kopf stellte). Da ich hauptberuflich viel unterwegs war, konnte ich dadurch in meiner freien Zeit meinen Wunsch nach einer sehr persönlichen Bibliothek realisieren. Eine kleine Privatbibliothek zu Lieblingsthemen- und autor*innen kann ich nur empfehlen, etwa 25 wertigeTitel genügen schon. Der Entspannungsfaktor liegt bei zwölf von zehn Punkten. Vorsicht Suchtgefahr!
Worin liegt der Reiz der alten Bücher, oder darf ich sagen Vintage books?
Vintage ist Insta-Sprech, für mich sind es Erstausgaben, die Freude machen. Erstausgaben sind das Original – Inhalt, Gestaltung und Ausstattung sind so, wie Autor und Verlag es wollten. Aber in Erstausgaben sind weitere stories versteckt: welcher Künstler hat den Einband gestaltet? Geben Widmungen, Anmerkungen oder ein Ex Libris Hinweise auf den Vorbesitzer? Hat das Buch sogar eine wertvolle Signatur? Da liegen weitere Stories versteckt, denn das Auge liest immer mit.
Sind nicht auch wertvolle Bücher out of time? Wie hältst du die Bücher lebendig?
Natürlich müssen sie entstaubt werden, aber viele der Autor*innen der spektakulären 100 Jahren hätten auch heute Platz und Stimme: Marieluise Fleisser und Erich Kästner würden erfolgreiche Serien schreiben, Egon Erwin Kisch aus Krisengebieten berichten, Karl Kraus würde Trump samt Musk k.o. schreiben. Joseph Roth hätte seine Kolumne für Migrations-wunden in DIE ZEIT und zusätzlich einen podcast zusammen mit Jörg Fauser. Arthur Schnitzler schließlich hätte ein Missverständnis mit Jürgen Ploog. Man muss diese Bücher in die Gegenwart beamen und ihnen neues Leben einhauchen. Das bereitet nicht nur mir Freude.
Welche Raritäten sind 2025 bei trooboox zu finden?
Rolf Dieter Brinkmann hat in diesem Jahr seinen 50 Todestag und bekommt seinen Platz. Auch wenn Wondratschek über ihn urteilte „Er war too much für euch, Leute“, war er wahrscheinlich das letzte Puzzleteilchen für eine deutsche Nachkriegsliteratur. Ihm gegenüber stelle ich die noch zaghaften Grass, Böll, Enzensberger, gegen die Brinkmann anschrieb. Ein interessanter Dialog in schönen Ausgaben. Dazu sehr viele tolle Ausgaben von den Sprachfantasten der Wiener Gruppe um H.C. Artmann. Ausserdem italienische Neoklassiker, sowie Fundstücke der 1920er Jahre. Und vielleicht gibt es als Sahnehäubchen einiges von Joseph Roth – dem all-time-Klassiker der großen Erzählung.
Wie siehst du deine Kunden, wo findest du sie?
Es ist sehr angenehm, für sie zu arbeiten. Sie sind sehr interessiert, fachkundig und halten die Buchkultur am Leben. Deutschlands Osten und Österreich sind überproportional vertreten, aber es geht quer durch bis in die Schweiz. Wenn irgend möglich, lege ich auch bei seltenen Stücken Wert auf einen tadellosen bis ordentlichen Zustand und ihre Lesefreundlichkeit. Viele schätzen meine sorgfältige Zustandsbeschreibung mit Fotos. Seltene Bücher können nicht immer top erhalten sein.
Ich komme ohne Ladengeschäft aus. Auf booklooker.de verkaufe ich, bei trooboox.de poste ich gelegentlich über seltene Bücher. Der Frankfurter Antiquariatskollege Wolfgang Rüger misstraut dem Internet, vor allem wegen des transparenten Preisverfalls. Für mich spricht mehr dafür als dagegen. Der Austauschbarkeit im Netz muss man mit Individualität und Empathie begegnen. Aber amazon mag ich definitiv auch nicht. Mein Grundsatz bei trooboox: Welches Geschäft du auch betreibst, sei gut zu deinen Kunden!
Die Journalistin Hanni Luckner verließ Ende der neunziger Jahre München Richtung Südamerika und schreibt heute – trotz gelegentlicher Anfeindungen – Gerichtsreportagen für die Tageszeitung Boquete Diario. Außerdem betreut sie die monatliche Lyrikseite.