„Crew love is true love“. Die Kapitänin eines Rettungsschiffes schreibt eine packende Autofiktion über Hilfseinsätze für Flüchtlinge.
Den Rahmen des Romans steckt die realpolitische Wirklichkeit: einem schamlosen italienischen Innen-Ministerium steht eine rat- und willenlose europäische Staatengemeinschaft gegenüber. Dafür übernehmen private Rettungsmissionen die Aufgabe, die Grundlagen unserer Zivilisation und der Menschenrechte einzuhalten. Im Chaos zwischen windigen Schlepperbooten und technisch hochgerüsteten Marinekreuzern versuchen die Aktivisten möglichst viele Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten.
Die studierte Biologin Pia Klemp (*1983) ist Kapitänin bei der zivilen Seenotrettung Sea Watch im Mittelmeer und Aktivistin für Menschen- und Tierrechte. Nach Beschlagnahme ihres Schiffes ermittelt derzeit die italienische Staatsanwaltschaft gegen Klemp wegen „Beihilfe zur illegalen Einwanderung“.
Das Drama vor unseren Augen
Wer hilft selbstlos Flüchtenden und Ertrinkenden unter grenzwertigen Bedingungen? Ein wilder Haufen aus AussteigerInnen, KämpferInnen für eine gerechte Welt und Abenteuerlustigen. Dabei führt die Kapitänin die Mannschaft auf ihre eigene Art: „Manchmal muss ich von den Leuten wegbleiben, um sie zu mögen.“ Crew und Gäste (Schiffsjargon für die Geretteten) hält die Kapitänin unter den schwierigsten Bedingungen zusammen. Nicht genug, denn die Arbeit der AktivistInnen wird an Land und von der Politik zunehmend kriminalisiert.
C2018 sind mehr als 2200 Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer ertrunken. Vor unserer Haustüre, wie man so nett sagt. Wir konsumieren diesen Stoff allabendlich in den Nachrichten. Und wieder einmal kann literarische Fiktion die Realität nicht absurder abbilden. Klemp schildert einen Rettungseinsatz, bei dem ein Schlauchboot von der lybischen Küstenwache brachial gerammt und an der Weiterfahrt gehindert wird. Die Marineboote und Hubschrauber der EU bleiben inaktive Beobachter. Das ist der deal vor dieser Haustüre. Flüchtlinge ertrinken bei diesem chaotischen Zusammentreffen, andere werden von der crew gerettet und finden aber keinen Hafen, der sie aufnimmt. Das Rettungsschiff wird beschlagnahmt.
In diesen dramatischen Schilderungen hat der Roman seine ganz starken Momente. Auf hoher See im Kampf gegen politische Unmenschlichkeit fühlt sich die Autorin sicher. Genauso, wie sie ihr Rettungsschiff millimetergenau an die Pier setzt. Die Landgänge in ihrer Heimat nutzt die Kapitänin für ihr Engagement für Veganismus, zersägt Hochsitze der Jäger. Für die story eher ein Kampf zu viel.
Ein beherzter Roman
Bei allen menschlichen Dramen hat der Roman auch irrwitzige Passagen. Wenn der Umstand einer weiblichen Kapitänin die italienischen Sicherheitsbehörden verwirrt und verunsichert. Ihre Anrede mit Madam lässt Klemp nicht gelten, sie besteht auf den korrekten Titel Capitana. Sollen die Beamten sich doch endlich damit abfinden, dass ihnen ein Gegenüber auf Augenhöhe unsere Zivilisation samt Menschenrechte erklärt.
Pia Klemp handelt und schreibt beherzt. Es fühlt sich an, als kompensiere die Autorin ihren Knochenjob mit Anleihen an die derbe Sprache Charles Bukowskis und an die Lakonie eines Jörg Fauser. Würde passen, weil Klemp mit schnoddriger Anarchie, beeindruckend und bedrückend zugleich, den Totentanz im Mittelmeer beschreibt. Und wie in B. Travens Totenschiff suchen Passagiere ohne gültige Papiere einen Hafen.
Die Zeit bis Prozessbeginn in Italien verkürzt sich Pia Klemp mit stupiden Talkshow-Fragen, dem Ablehnen fadenscheiniger Ehrungen wie der Pariser Verdienstmedaille und der Vorstellung ihres Buches. Mit einem möglichen Ministerpräsidenten in Badehose droht der Rettung Ertrinkender und unserer Zivilgesellschaft allerdings ein weiteres Italien-Tief.
Pia Klemp,„Lass uns mit den Toten tanzen“, € 20 | in deiner Lieblingsbuchhandlung