Cees Nooteboom führt uns durch eine überraschende Ausstellung im Buch.
Wenn ich mir den Maler J. M. William Turner vorstelle, sehe ich eine düstere Seeschlacht an der Wand, davor schwere Ledersessel in einem englischen Adelsclub. Eher dekorativ. In seinem Biopic Meister des Lichts hastet ein exzentrischer Gnom mit Mal-Utensilien durch eine Musical-Kulisse, die das London Anfang des 19. Jahrhunderts darstellt. Eher skurril.
Noch bis Mitte Oktober ist im Kunstmuseum Luzern eine Ausstellung mit dem Titel Das Meer und die Alpen zu sehen. Unter dem gleichen Titel ist ein umfassender Begleitband erschienen. Das Buch bringt nicht nur die Exponate in unser Umfeld, sondern enthält neben den unvermeidlichen Grussworten auch Informatives zu Turner und seinen Reisen. Joseph Mailord William Turner (1775 – 1851) war der bedeutendste Vertreter der britischen Romantik. Neben seinen populären Gemälden schuf er auch eine Unzahl von Aquarellen und Zeichnungen. Seinen Durchbruch erreichte Turner mit meist düsteren und dramatischen Meeresbildern. In seinem Spätwerk reduzierte Turner seine Naturopulenz und wurde damit zu einem Vorläufer der Impressionisten. Anfang des 19. Jahrhunderts nutzte Turner die politische Entspannung durch Friedensverträge in Europa zu ausgedehnten Motiv-Reisen. Er war ausgesprochen gern unterwegs, mit Pferdekutschen und Schiffen.
Cees Nooteboom führt uns durch das Buch
Kunstbücher werden leicht zu Leichen im Regal, wenn sie nur eine statische Abfolge ausgestellter Werke bieten. In diesem Fall ist es Cees Nooteboom in seinem Essay zu verdanken, einige Turner-Bilder aus besonderer Perspektive zu betrachten. Nooteboom macht dabei den Wandel Tuners von Düsternis zum schemenhaft Leichten deutlich: „Ich betrachte noch einmal [das Bild] Strand und Segelboot. Da ist er siebzig. Was ist darauf zu sehen? Fast nichts. Wie lange dauert es, bis es einem gelingt, fast nichts zu malen?“ Die Übersetzung von Nootebooms Text ist holprig, der Reiz seiner Sprache geht in weiten Strecken leider verloren. Aber er lenkt unseren Blick auf überraschende, wenig bekannte Bilder.
Turner war Schweiz-Fan
Ergänzend findet sich im Buch auch eine Karte mit Tuners Reisewegen durch die Schweiz. Zwischen 1802 und 1844 war er sechsmal in der Schweiz unterwegs. Interessant wäre die Antwort auf die Frage, warum er der Schweiz vor Frankreich den Vorzug gab. Was suchte er so intensiv, nahm die Mühen der Reisen auf sich? Sicher faszinierte ihn die Erhabenheit der Alpen, die Blick und Bewegungsfreiheit begrenzten. Nicht wie die Unendlichkeit des Meeres. Aber wie das Meer bieten die Berge Licht- und Wetterphänomene, die seine Kreativität forderten. Dazu passt der sehr informative Beitrag über den Einfluss der jeweiligen Wettersituation auf die in der Schweiz entstandenen Bilder Turners. Die schnellen, oft dramatischen Wetterwechsel und der imposante, nahtlose Übergang von Himmel und Erde müssen ihn fasziniert haben.
Wer immer wieder neue Bilder entdecken möchte, lässt am besten das Buch eine Zeit lang mit wechselnden Seiten aufgeschlagen liegen. Der Band enthält Beispiele aus allen Perioden, bietet einen guten Überblick über sein Werk. Aus den Gegensätzen von Meer und Alpen entsteht ein ganz eigener Reiz. Mir persönlich gefallen seine in Rot- und Brauntönen gehaltenen Radierungen und Aquarelle am besten. Sie wirken wie story boards von mysteriösen graphic novels und erzählen sich selbst weiter. Ziemlich aktuell also, der Junge Meister Tuner.
Hrsg. Kunstmuseum Luzern, Turner – Das Meer und die Alpen | € 34,90
Neugierig machen auch die gleichzeitig erschienen Skizzenbücher:
David Blayney Brown: J.M.W. Turner – Wolken. Das Skizzenbuch Skies
Hrsg. David Blayney Brown: J.M.W. Turner – Luzerner Skizzenbuch