Geschichten, die am Meer ihren Anfang nehmen, sind natürlich eine ideale Urlaubslektüre. Meine Empfehlung für einen wunderbaren Strandtag ist die graphic novel Rückkehr nach Eden des spanischen Zeichners und Autors Paco Roca. Den roten Faden bildet das Sofortbild eines Familienausflugs ans Meer nahe Valencia. Auch wenn die Familie an diesem Sommertag nicht komplett ist, entspinnt Roca daraus rund um die jüngste Tochter Antonia (Rocas Mutter) gleich mehrere Leben. Und damit beschert er uns melancholische, staunende und amüsante Momente.
Ein Elternhaus im Franco-Regime
Paco Roca nimmt uns mit in seine Familienerinnerungen. Im Mittelpunkt stehen seine Großmutter Carmen und vor allem seine Mutter Antonia. Das Strandfoto wird für Antonia Begleiter eines langen Lebens und einer schlimmen politischen Epoche. Ihre Eltern könnten für die Säulen der Franco-Ära stehen: denn auch wenn Vater Vicente auf Seiten der republikanischen Franco-Gegner gekämpft hat, hält er seine Familie doch als häuslich gewalttätiger Diktator in Schach. Er ist ein ausgeprägter Egoist, der sich trotz des großen Hungers seiner Familie heimlich von seiner Mutter mit Essen versorgen lässt. Die katholisch-bigotte Mutter Carmen bildet die zweite Säule, sie vertröstet ihre sechs Kinder auf die Belohnungen im Garten Eden – leider erst nach dem Tod. Antonia ist ihre jüngste Tochter. Aufgrund der großen Armut ist sie früh zum Hinzuverdienst verpflichtet. Statt Lesen und Schreiben zu lernen, lehrt sie ihre Mutter Carmen Demut und die Ehrfurcht vor Gott. Denn die einzige Chance, die das Leben Antonia bietet, ist eine gute Ehefrau und Mutter zu werden. Immerhin lernt sie mit ihrer Lieblingsschwester Amperia nicht nur die Traumwelt des Kinos kennen, sondern auch wie die Männer ticken.
Hitler diesmal in einer Nebenrolle
Roca führt uns auch kurz in die politische Seite der bei uns kaum bekannten Franco-Ära ein. Franco wollte Spanien – auch mit Hilfe der katholischen Kirche – zu altem imperialen und kolonialem Glanz zurückführen. Franco war eine Art monarchistischer Hitler (auch Adolf hat einen kurzen Auftritt) und hielt sich mit Angst und Schrecken an der Macht.
Rückkehr nach Eden ist eine sehr literarische graphic novel. Roca nimmt sich auch erzählerischen Raum für seine Figuren. Trotz Armut, trotz politischer Verfolgung und den daraus entstehenden Lebensrealitäten führt er sie mit Melancholie, Humor und Zuversicht durch die Geschichten. Das Foto vom Strand bleibt Antonias Begleiter bis ans Ende ihrer Tage, als sie noch einmal den Hochseil-Artisten Don Milan aus ihrer Kindheit trifft, auf seinem Weg mit einem Ballon in unendliche Höhen. . .
In seinen Bildern wechselt Roca zwischen knappen filmischen Einstellungen und Nahaufnahmen und üppigen Tafelbilder über mehrere Felder. Dabei übernimmt er die Sepia-Töne alter Fotos und coloriert sparsam und ausdrucksstark, in wenig bunten Töne – das passt zu Antonias Lebensgeschichte. Die deutsche Übersetzung von André Höchemer wirkt sehr einfühlsam und behält den literarischen Ton.
Priester mit Brathuhn
Gleich zu Beginn der graphic novel fasziniert mich die Entstehung des Strandbildes: Der Fotograf schleppt eine unförmige Plattenkamera samt Stativ, deren Innenleben durch eine Miniaturdunkelkammer samt Tauchbäder ergänzt ist. Immer wieder überrascht Roca mit seinen Szenen und setzt der Mühsal des tristen Lebens Lakonie entgegen: Wenn der Liebhaber ihrer großen Lieblingsschwester im dunklen Kino deren Knie erkundet und Antonia einschreitet. Oder das Bild des katholischen Priesters im Talar, dessen Kopf Paco Roca durch ein Brathuhn ersetzt. Diktatoren-Jahre sind nur für eine kleine Elite auch fette Jahr. Wie die Historie auch aktuell immer wieder beweist. Meine Empfehlung für einen gelassenen Tag am Strand. Unvergesslich wie das Strandfoto der kleinen Antonia.
Paco Roca, Rückkehr nach Eden |184 S. | € 24 | hier.