Kategorie: Lebensart | Lifestyle

Die schönsten Buchhandlungen der Welt erzählen ihre Geschichten.

Einer neuen Stadt kann man/frau sich unterschiedlich annähern. Freund Daniel Dubbe* geht zuerst in die beste Hotel-Bar am Platz, um interessante locals und Reisende zu treffen. Ich ziehe eine bunte Markthalle für Lebensmittel vor und sehe, was man vor Ort genießt. Immer passend ist aber der Besuch in den besten Inhaber-geführten (also unabhängigen) Buchhandlungen: wir sehen, was die Stadt bewegt und treffen Menschen mit Geschmack.

Diese Art von bookshops stellt uns das Buch  Do you read me? in aller Welt vor. Das ideale Thema für meinen ersten booxpost in 2022. Leider ist nicht jede der vorgestellten Buchhandlungen – weil weit entfernt – in die Urlaubsplanung zu integrieren. Beam me up to the next fine bookstore, Scotty.

Was macht eine gute Buchhandlung aus?

Die beste Buchhandlung ist sicher nicht die mit dem besten Oma-Käsekuchen oder dem breitesten Sortiment an netten Nutzlosigkeiten zum Verschenken. Eine wirklich gute Buchhandlung braucht eine angenehme Atmosphäre und sollte neben dem Mainstream auch individuelle Sortimentsteile bereithalten, die die Handschrift des Händlers, der Händlerin tragen. Dazu freuen wir uns auf kompetente und begeisternde Beratung – sofern gewünscht. . .

Im Wesentlichen bricht Do You Read Me? eine Lanze für den unabhängigen, also kettenbefreiten Buchhandel. Da ist es gut, wenn Deutschland und Österreich mit der Buchpreisbindung den Handel schützen.

Atemberaubend: der bookshop im 52. Stock.

Die vorgestellten Buchhandlungen sind nicht nur über die ganze Welt verstreut, sie sind auch sehr unterschiedlich in ihrem Charakter, ihren Zielgruppen und Ausrichtungen. Deshalb habe ich sie in drei Kategorien eingeteilt: 1. Kathedralen des Buchs, 2. die stylischen Trendsetter und 3. die originellen Typen der Branche. Zu den üppigen und musealen Hochaltaren der Buchkultur zählen die Livraria Lello in Porto und El Ateneo Gran Spendid in Buenos Aires – beide in renovierten Theatern mit entsprechendem Flair und kleinem Gigantismus eingerichtet. Das Carturesti Carusel in Bukarest befindet sich in einer klassizistischen Bankiersvilla und die Boekhandel Dominicanen in Maastricht bespielt eine umgewidmete gotische Kirche. Books over the Clouds in Shanghai ist da schon cooler und stylischer: die 60.000 Bücher und ihre Kunden in der 52. Etage des Shanghai Towers haben 239 Meter Stahlbeton unter sich und einen herrlichen Blick über Boomtown. Bei Wuguan Books in Kaohsiung/Taiwan gehen die Lichter für den Buchhandel aus, denn die Bücher werden im Dunkeln mit Spotlights präsentiert. Schauplatzwechsel Berlin: Die namensgebende Buchhandlung do you read me?! setzt auf schlichte Eleganz und hochwertige internationale Magazine.

Wenn ich könnte, würde ich zuerst die interessanten Typen besuchen. Yoshiyuki Morioka in Tokio in seinem Laden Morioka Shoten. Sein Konzept heißt „ein einziger Raum, ein einziges Buch“. Nach ein paar Wochen wird das Buchangebot gewechselt. Oder in Lagos Kunle Tejoso in seinem The Jazzhole. Er führt ein breites Angebot an neuen und gebrauchten Büchern und an Vinyl-Jazz. Leichter in die Reiseplanung dürfte ein Besuch bei FilBooks  in Istanbul passen. Inhaber Cemre Yesil Gönenlis präsentiert nicht nur Kunst- und Fotobücher, sondern auch – Ausnahme – seinen ganz speziellen Velvet Kuchen – whatever that is.

Letzten Herbst besuchte ich in die Libreria Acqua Alta in Venedig. Sie ist wie viele tolle Buchhandlungen dieser Welt auch Insta-Hotspot (schon um neun Uhr früh wird vor der Bücher-Gondel oder mit der Hauskatze fotografiert), aber solange man ein überraschendes Buch findet, ist alles gut. . . Ich entdeckte eine Biografie über Rio Reiser.

Und was hält Jeff Bezos vom unabhängigen Buchhandel?

Den Texten gelingt es nicht immer, die besondere Stimmung einer tollen Buchhandlung einzufangen  –  bei einigen Textpassagen leistet sich das Buch einen Move zum Hotelführer-Charme. Auch das Vorwort des Chefs der Frankfurter Buchmesse ist keine Überraschung, denn was außer einem Hohelied auf den Buchhandel soll Juergen Boos in diesem Liebhaber-Buch anstimmen? Spannender wäre es gewesen, wenn Jeff Bezos seine amazon-Sicht  dargestellt hätte. Großen Spaß macht dagegen der Text der britischen Buchhändlerin, Illustratorin und Autorin Jen Campbell. Sie entdeckt mobile und tiny bookshops wie eine Pferdebibliothek auf Java, die mit ihrem schmalen Sortiment von Dorf zu Dorf zieht und auch für die Leseförderung sorgt. Oder das Buchladentaxi in Teheran, denn auch während der Taxifahrt ist genügend Zeit zum Auswählen eines interessanten Buches. Gute Idee. Die Texte trüben zwar die B-Note, macht aber nichts, denn in Do You Read Me? gibt’s genügend zu entdecken.

Ein spannender Nebeneffekt des Buchs: es kann eine Motivations-Bibel für Existenzgründer (jeder Art) sein. Und das nicht nur für angehende Buchhändler. Immerhin gehören Buchhandlungen zu den essentiellen Nahversorgern, die ein Stadtviertel lebenswerter machen. Denn die beste Buchhandlung ist immer die um die Ecke. Ein liebenswertes Buch für Echt- und Traum-Reisende und für start-upper.

gestalten & Marianne Julia Strauss: Do You Read Me?, 272 Seiten, € 39,90| in deiner Lieblings-Buchhandlung

(c) 2022 Kurt Pohl

* Daniel Dubbe hat eine wunderbare Biografie über Erich Nossack geschrieben. Hier liest Dubbe eine Passage über Nossacks Doppelexistenz – tagsüber Kaufmann, nachts Künstler.

Buchmesse ’21: vom Warten auf die Currywurst und auf irgendeine Normalität.

Deutlich weniger Aussteller, COVID-bedingt limitierte Besucherzahlen, zaghafte Buchhändler und die einzige Warteschlange an der Currywurst Bude. Bei meinem Messerundgang am letzten Donnerstag wurde ich das Gefühl nicht los, dass die deutschen Publikumsverlage kneifen. Mutlos und nicht mal mit halber Kraft vertreten. Immerhin sind Kinderbuch-Verlage gut präsent. Sie arbeiten an der Zukunft des Buchmarkts, einige Belletristik-Verlage arbeiten in Frankfurt nicht einmal an der Gegenwart des Buchs. Es gibt (zu) viele Stände mit non books und wir entdecken wasserfeste Bücher für die Badewanne. Immerhin.

Back to Fränkfurt

Messechef Jürgen Boos markierte bei der Eröffnung: „Back to business, aber (noch) nicht back to normal“. Hat er uns verschwiegen, dass Normalität ein äusserst dynamischer Begriff ist? Natürlich lassen sich die spärlich besuchten Hallen mit der noch nicht überwundenen Pandemie erklären. Zum Planungszeitraum gab es noch weltweite lock downs, Impfanläufe, rechtliche Unsicherheiten und bis heute unterschiedliche internationale Reiseeinschränkungen. Dennoch vermisse ich bei den D/A/CH-Verlagen die Kreativität, mit dieser wagen Situation bei der Planung umzugehen. Frankfurt ist eine Standardübung für sie. Ich ringe um Luft: Messehallenluft ist an sich schon eine Herausforderung an die Atemwege, mit FFP2 wird’s nach Stunden zur Qual – so gut und sinnvoll ich die Maske finde! Eva Menasse trägt sie immerhin mit Verve. Diese Messe zeigt dramatisch, wie notwendig eine Neupositionierung der Messe ist.

Kanada macht Mut zur Literatur

Das Gastland Kanada hat diese Pandemie wirklich nicht verdient – zu schön und poetisch ist sein Pavillon: mit Kaskaden und Wellen von Wasser und Wäldern. Die Begegnungen mit kanadischen Autoren findet live und mit virtuellen 3D-Sequenzen statt. Mutig, beeindruckend und zu schade, um wieder abgebaut zu werden.

Afghanistan trägt Trauer, Russland macht auf Disko

Aausländische Verlage mit Gemeinschaftsständen sind immerhin gut vertreten: Litauen und Estland mit pfiffig eleganten Messeständen, Afghanistan trägt Trauer mit einem leeren Messestand ohne Bücher. Nur die Russen lasse ich links liegen: sie vermiesen uns für den Winter unsere Gasrechnung. . . der Stand sieht aus wie eine Berliner Russendisko der Nuller Jahre.

Klassische high quality Verlage wie Schirmer und Mosel und gestalten finde ich nur zufällig in der internationalen Halle, abseits in kleinen Kojen, als „workstations“ gebranded. Ein paar Bücher schmöker-abwehrend an der Rückwand verstaut, davor auf 5 m² ein nackter Tisch mit Stühlen. Hier wird nicht gelesen, hier wird business gemacht. Lothar Schirmer, einer der markantesten Verleger und Verlage, unterhält bei dieser Messe nicht wie bisher launig und dauersitzend in Mitten der großen Kunstbuch-Halle seine Gäste. Und bei gestalten freue ich mich auf die Neuerscheinung „What a wedding!“, über die ich in den nächsten Wochen posten möchte – leider nicht dabei gesteht die freundliche Mitarbeiterin. . . Der mit seinen Verlagsvertretungen umtriebige Mario Max meint lakonisch, „man müsse sich am Abend die Messe schön trinken“ – eigentlich müsste schon mittags damit anfangen.

Eigentlich wollte ich „meine“ Verlage für culture books besuchen: Kunst, Fotografie, Reisen und Lifestyle von gestalten, Hatje Cantz, Kehrer, Reprodukt, avant, Knesebeck und andere. Für eine Preview über Neuerscheinungen Herbst/Winter und damit eine quick and dirty-Vorschau auf meine trooboox-posts der nächsten Monate. Schnelle Fotos, flotte Kurzkritiken. Aber fast keine Verlage da.

Buchmesse, Verleger, Handel und Medien müssen hybride Ideen für einen neuen Marktplatz entwickeln. Ausser mit Leipzig ist – auch digital – noch kein Event vorhanden, der sich kommunikativer Stärke nur annähernd mit der „alten“ Buchmesse messen kann. Einen Buchtitel für diese neue Messe hätten wir schon: vom Suchen und Finden der neuen Normalität.

(c) Kurt Pohl 2021

Alles, was unser Leben sprizziger macht: The Monocle Book of Italy.

 

Das Team des Monocle-Magazins gestaltet sein Book of Italy wie eine Fahrt im high-speed Zug Frecciarossa durch Italiens Kultur, Kulinarik und Lifestyles. Mein persönliches Italien ist nicht so üppig wie das Buch: die Schallplatten von Lucio Battisti, ein klassisches Rennrad von Tommasini, Pasta von kleineren Manufakturen.und vor allem die Bialetti-Moka – gezeichnet von hunderten Espresso-Einsätzen auf unserem Wiener Gasherd.

Halb verfaulter Hai oder lieber Zuppa di pesce?     

Gleich auf den ersten Seiten stellt Monocle-Chef Tyler Brûlé die Killer-Frage: Wenn wir für den Rest unseres Lebens nur noch eine Landesküche hätten, welche wär’s? Island fällt in dieser Frage schon mal aus dem Rennen: wer will  schon sein Leben lang vergorenen und für Monate in der Erde vergrabenen Hai namens Hákarl auf dem Teller? Also lieber Essen vom Italiener – und das am besten in Italien. Ein Fazit gleich zu Beginn: The Monocle Book of Italy zeigt, dass kein anderes Land unsere Alltags-Träume vom guten und schönen Leben erfüllt wie eben Italien.

Zur richtigen Zeit die Uhr anhalten

Die Herausgeber Chiara Rimella und Joe Pickard  unternehmen mit The Monocle Book of Italy eine Rundreise durch alle Lifestyles. Auf ihrer Grand Tour durch den Stiefel reisen sie durch die Vielfalt der Regionen und geben ein look and feel der wichtigsten Metropolen von Bozen bis Palermo. Das Kapitel Design belegt, dass Minimalismus keine Italienische Strömung ist. Alle Design-Ikonen, die wir täglich zuhause und im Büro nutzen, haben neben der Funktion immer auch etwas spielerisches in Form und Farbe. Italienisches Design zielt auf ein Lächeln bei der Nutzung. Übrigens: der Schnellzug Frecciarossa wurde im Turiner Studio Bertone designt – auch verantwortlich für die legendäre Guilietta von Alfa Romeo. Und flux geht’s zum Kapitel Mobilität: Boote der Marke Riva und sportive Autos machen uns neidisch, die Dauerbrenner von Vespa bis zum Lasten-Dreirad Ape – dem Klassiker in vielen Schwarzweiss-Filmen. Nur Alitalia ist inzwischen Geschichte. Ich erinnere mich gerne an die Reise von Bari nach Venezia, stundenlang zieht die Adria am Fenster des Schnellzugs vorbei.

Das Geheimnis der Italiener*innen liegt darin, im richtigen Zeitpunkt die Uhr anzuhalten: ein Zwischenstopp auf der Piazza, am Strand zwischen bunten Sonnenschirmen und immer Zeit für einen caffè al banco im Stehen.

Mode-Start-ups in der Provinz sind alles andere als provinziell!

Wie immer hat das Monocle-Team hat ein gutes Gefühl dafür, die richtigen Menschen aufzuspüren, an längst bekannten Orten neues zu entdecken und Stimmungen zu vermitteln. Beispielsweise ein Besuch bei Gabriele Gmeiner, Schuhmacherin in Venedig. Bei ihr wartet man gerne zwölf Monate auf ein Paar handgefertigte Massschuhe. Und abseits der Metropolen entdeckt Monocle unabhängige Modelabels wie Zoe (Bassano del Grappa) und Sugar (Arezzo). Spannend ist auch die Übersicht, wie sehr italienische Markenprodukte unseren tristen Alltag erhellen: von Alessi über Nutella bis zur Vespa. Gut, wichtig und schön. Immer erfinden Italiener*innen Sachen, die unser Leben angenehmer und sprizziger machen. Das gilt besonders für das Kapitel Hospitality/Gastfreundschaft mit vielen Highlights der italienischen Küche. Wenn Lesen satt machen könnte. . . Zusätzlich gibt es Tipps für essentials im Vorratsschrank für graue Wochenenden. Rechtzeitig die Regale auffüllen. Das Book of Italy ist vor allem ein Bilderbuch über das angenehme Leben, die ergänzenden – englischen – Texte haben meist Cappuccino- oder maximal Aperol-Länge.

Die Texte haben Cappuccino-Länge

In der B-Note bekommt das Buch minimale Abzüge: es beantwortet nicht die Fragen, warum Korruption jährlich Milliarden Schäden anrichtet oder wie es sein kann, dass die italienische Nation seit 1946 sechsundsechzig Regierungen verschlissen hat. Gut, das sind Fragen, die man seinem coffeetable üblicherweise nicht stellt. Dafür punktet das sehr abwechslungsreich gestaltete The Monocle Book of Italy bei unseren Erwartungen an italienisches Leben: fare una bella figura. Gerade, wenn es bei uns kalt und nebelig ist.

Chiara Rimella, Joe Pickard (Hrsg.): The Monocle Book of Italy, 294 Seiten, € 65 | in deiner Lieblings-Buchhandlung oder hier.

(c) Kurt Pohl 2021