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Unübersetzbar

Ein Buch über twitter-untaugliche Begriffe. Faszinierend, wie man mit einem einzigen Wort ganze Gefühle und Handlungen beschreiben kann und zum Glück nicht übersetzen kann. So z.B. gibt es im niederländischen ein Wort für „nach draußen gehen und sich den Kopf und die schweren Gedanken vom Wind durchwehen zu lassen“. Oder in Feuerland „zwei oder mehr Menschen sitzen beisammen und kommen durch Blickkontakte zu der stillschweigenden Übereinkunft, dass etwas unternommen werden muss, aber niemand möchte den ersten Schritt tun“ – wow! Ein hawaiianisches Wort beschreibt folgendes Ereignis: „Der Zustand, der eintritt, wenn man sich eine Wegbeschreibung anhört, dann losläuft und sie augenblicklich wieder vergisst.“ Kennt jeder! Auch ein Wort aus Südindien wurde für folgenden Zustand ins Buch genommen: „Der Abdruck, der auf der Haut zurückbleibt, wenn man zu Enges getragen hat.“ Dazu passt eines der wenigen deutschen, nicht übersetzbaren Wörter: „Kummerspeck“. Die jeweiligen Original-Wörter könnt ihr im Buch entdecken, das durch seine Illustrationen zu einem netten, für jeden passenden Geschenkbuch taugt. Nur der Titel ist schwach und gehört einfach dem Film!

Lost in Translation, € 18.– | click.

Mit mare mehr Meer

Geschichten rund ums Meer. Die Zeitschrift mare feiert sich zurecht mit einem opulenten Leinenband für 20 Jahre Qualität in Inhalt, Optik und Haptik. Von Anfang an hilft mir mare meine Sehnsucht nach dem Meer zu stillen(oder wenigstens einem ordentlichen See). Mit kleinen Geschichten und großartigen Fotoreportagen, Anekdoten, Buchrezen-sionen und Kochrezepten aus Kneipen und Restaurants, in denen ich wahrscheinlich nie Platz nehmen werde, obwohl Charles Trenet aus der Musikbox la mer singt. Mit diesem herrlichen Buch sind wir mitten drin: an den Küsten, am Strand, auf hoher See oder unter Wasser. Und hören gespannt den Geschichten zu, die uns mare vom Meer erzählt. Und die besten davon über diesen ganz besonderen Lebens-, Kultur- und Ökologieraum sind in diesem Jubiläumsband gesammelt: über die unerschrockenen Kadetten der sowjetischen Marine, über die anstrengende Kohleförderung aus dem Meer, über den unglaublichen Fischmarkt in Tokio und ein maritimes Altersheim in Italien für verdiente Seeleute.

(c) Jodi Bieber

In den aktuellen Ausgaben von mare könnte an einigen Stellen im Heft etwas Salzkruste abgeklopft werden. Aber in einem verblassenden Markt für qualitativ aussergewöhliche Printmagazine wünsche ich dem mare-Team Kraft für den nächsten Jubiläumsband in 2037.

mare – Fotografien aus 20 Jahren, € 89.– | click.

Die kleine Welt als große Täuschung

Kleine Welten mit großen Täuschungen. Der Frankfurter Fotograf Frank Kunert macht sich richtig Mühe für seine Motive: er bastelt aus Pappe, Schaumstoff und Alltagsgegenständen „echte“ kleine Welten mit kleinbürgerlichen Hoch- und Reihenhäusern, Wohnzimmern, Straßen, Grabsteinen usw. Sie sind die Bühne seiner fotografischen Ideen. Denn kaum hast du die oft triste Situation wahrgenommen, werden deine Erwartungen im 2. Blick getäuscht: eine Treppe, die ins Himmelsnichts führt, ein Tennisplatz als half pipe, ein Fernsehgerät mit direkter Ableitung in die Kloschüssel. In seinen Fotobüchern sorgt Kunert dafür, dass die Idylle nicht lange anhält. Er setzt feinsinnige Ironie ein, aber auch schmerzhafte Überraschungen, wenn er wortwörtliche Bilder entlarvt.

Kunert verzichtet auf Photoshop und andere Bildbearbeitung und geniesst dafür die analoge und damit brüchige Inszenierung. Der besondere Reiz seiner Bücher liegt darin, dass er keine Fakes bastelt, sondern mit echten Täuschungen spielt.

Frank Kunert, Wunderland, € 16,80 | click | Verkehrte Welt, € 14,80 | click