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Schluss mit Schnitzel! Ganz Wien tanzt den Umami-Walzer. Mit einem g’schmackigen Japan-Kochbuch.

Mit jeder zusätzlichen Ethno-Küche füllt sich unser Gewürz- und Zutatenregal. Und muss nach Jahren des Nicht-Gebrauchs und Überschreitens des MHD um ca. 10 Jahre entrümpelt werden. Das Team des Wiener Restaurants Mochi (eines unserer Lieblinge) hat jetzt ein Kochbuch vorgelegt, das unbedingt zusammen mit guten Freunden ausprobiert werden sollte.

Warum also jetzt nach mit Georgien und Norwegen gefüllten Tellern auch noch japanisch kochen? Die japanische Küche setzt konsequent auf den Eigengeschmack frischer Lebensmittel und ernährt uns gesund durch Fisch und Gemüse (als Beigabe gibt’s eine hohe Lebenserwartung). Sie ist leicht und sehr bekömmlich, nicht zuletzt durch das Weglassen von Milchprodukten. Und jetzt bietet sie auch noch Spaß fürs Kochen in bester Gesellschaft. Der Umami-Geschmack ist übrigens  nach süß, sauer, salzig und bitter die fünfte Grundrichtung des guten Geschmacks, zu finden z.B. in Parmesan oder getrockneten Tomaten, in asiatischen Soja- und Fischsaucen oder eben in unserer bekannten Streuwürze von Knorr. Übersetzen würde man es mit geschmackvoll und würzig, von  Glutamat-Bomben der convenience-Küche soll hier keine Rede sein.

Es fällt sofort auf, dass das Buch mit Liebe für das gedruckte Wort und Bild gemacht ist. Das Buch ist in Optik und Haptik einfach ein toller Schmöker: du nimmst es gerne in die Hand, blätterst vor und zurück, lässt es aufgeschlagen liegen. Es ist mit vielen Details ausgestattet, die dich analog begeistern: fetter Einband mit „Bauchbinde“, dicker Karton, Farbschnitt, verkürzte Informationsseiten in anderer Papierqualität. Da musst du erst einmal viel Mut aufbringen, Sojasaucen- und Ölflecken auf dem Buch zuzulassen. Trau dich, das gibt die richtige Patina.

Der Grundgedanke des Buchs liegt im Titel IZAKAYA: es geht ums gemütliche Trinken. Und damit das ausdauernder geht, isst man kleine Happen zu Bier und Sake. Eine gute Tischrunde, eine offene Küche mit kommunikativen Köchen und das Teilen und Probieren verschiedener Speisen schaffen das Wohlgefühl. Am ehesten vielleicht mit einer Tapas-Bar oder einem ausgedehnten Aperitivo vergleichbar.

Ob ich gleich mit der gebratenen Hühnerhaut starten werde, bezweifle ich. Aber das mehrschichtige Omelett mit Bergkäse klingt sehr gut, wenn auch formal anspruchsvoll, denn es sollte mit Stäbchen gerollt werden. Kochregel Nummer 1: gelassen die japanische Perfektion mit italienischer Leichtigkeit und Mut zur Lücke kombinieren, wenn nicht gleich alles optisch gelingt. Die Speisen-Fotos sind ein Angebot an die Hobbyköche, kein Muss für den perfekten Nachbau. Außerdem auf meiner Startliste: gegrillter, wilder Brokkoli (wenn ich ihn finde) mit Erdnüssen, Miesmuscheln mit Limette und Zitronengras und schließlich spare ribs mit Rettich und Chilisauce. Die Spieße mit Herz, Magen und Leber vom Huhn grill ich lieber mal für mich alleine.

Für den Start müssten für Koch-Normalos basics wie Sojasauce, Fischflocken und –brühe, Sake, süßer Reiswein und Reisessig genügen, damit das Gewürzregal nicht gleich überquillt. Wer sein Essensangebot perfektionieren will, kauft lieber später nach. Alle Zutaten werden gut erklärt, das in Japan beliebte Walfleisch wird politisch korrekt nicht verwendet.

Die allgemeinen Texte mit Botschaften über Familie, Freunde, Zusammenhalt und Stimmung lesen sich wie PR für die Mochi-Restaurants im II.Bezirk. Die Rezepte hingegen sind ohne Schnörkel und gut umsetzbar beschrieben und lassen Spielräume am Herd – geschmacklich kann nichts schief gehen. Leider taucht der Herstellungsleiter des Buchs nicht bei den Team-credits auf, seine kreative Ideen tragen maßgeblich zum Charme des Buchs bei.  Das Buch habe ich vom Verlag – wegen der starken Mediennachfrage – nur digital als pdf bekommen, Nachbar Ben hingegen lieh mir sein Original. Digital ist es lediglich eine bunte Rezeptsammlung. Mit dem echten Paper-Book bekommst du richtig Lust auf Japanisch kochen und auf Japanisch-kochen-lesen. So macht man tolle Bücher!

Mochi, IZAKAYA  € 30 |  in deiner Lieblingsbuchhandlung oder z.B. hier

Dreissig Kerzen für deinen game boy! Und ein 8-bit-Geburtstags-Ständchen.

Im April 1989 wurden in Japan die ersten Gemu Bois verkauft. Dreissig Jahre später gibt es einen guten Grund seine digitale Kindheit mit game boy, Super Mario und dem russischen Spiel Tetris hervor zu kramen. „The Nostalgia Nerd’s Retro Tech – Computers, Consoles & Games“ zeigt uns die zu ihrer Zeit besten Systeme von Atari bis Xbox.

Als „Nostalgia Nerd“ sammelt der Autor Peter Leigh seit Jahren Retro-Konsolen und -Computer für seinen erfolgreichen YouTube Kanal. Jetzt stellte er die digitale Sammlung in einem Buch zusammen. Reich bebildert zeigt es, dass computer gaming für den Hausgebrauch schon in den siebziger Jahren verfügbar war, z.B. mit dem 4KB Apple II von 1977. Das englischsprachige Buch erinnert an die unterschiedlichsten Gerätetypen samt der jeweiligen „must plays“ und „must avoids“. Die hohe Zeit der Computer games waren die 80er und 90er Jahre mit einem Feuerwerk an Neuentwicklungen.

Der game boy war so frech und nahm die Mobilität der smart phones vorweg. Überall und zu jeder Gelegenheit spielen: auf dem Autorücksitz, beim Besuch bei Tante Hilde und unter der Schulbank. Technische Limitierung nervte noch nicht und Streaming war Lichtjahre entfernt. Erst die Nullerjahre mit den neuen spielerischen smart phone-apps läutete das Runden-Ende für Konsolen der ersten Generationen ein.

Wir haben uns einfach daran gewöhnt, uns in immer kürzeren Abständen mit der jeweils besten smart Technik zu optimieren. Retro Tech ruft uns den Reiz der Limitierung in Erinnerung zurück. Nicht alles ist möglich. Ein netter Ausflug in die Welt der kaum erkennbaren Pixel-Haufen und der sparsamen 8-bit-sounds. Less can be more, zumindest für einen Schmökernachmittag.

The Nostalgia Nerd’s RETRO TECH – Computers, Consoles & Games,  € 16,50 | in deiner Lieblingsbuchhandlung

Beinahe hätte es geklappt: die Deutsche Diamanten Republik – DDR

Am Anfang stand die Erkenntnis

Keine schlechte Vorstellung: die marode DDR wäre durch Diamantenproduktion gerettet worden. Zwei Bruderstaaten, die aus unterschiedlichen Gründen aus der Kohle aussteigen, erblühende Landschaften im Osten und weder nervige Pegida, noch nervigere AfD. Die Deutsche Diamanten Republik bildet den Hintergrund für den aktuellen Spirou-Band.

Dabei ist diese Ausgabe des Comic-Klassikers in doppelter Hinsicht ungewöhnlich. Einerseits ist dieser Band der erste, der nicht von einem frankophonen Künstler gestaltet ist. Andererseits hatte der deutsche Zeichner Flix gleich eine sehr deutsch-deutsche Geschichte im Gepäck. Die Story spielt im September 1989, kurz vor der Maueröffnung: der beste Freund von Spirou und Fantasio – Graf von Rummelsdorf – wird nach Ostberlin entführt, um bei der Rettung der maroden DDR hin zur Deutschen Diamanten Republik zu helfen. Nahe liegend: Diamanten aus Braunkohle gepresst, und das lange vor der Energiewende. Samt Eichhörnchen Pips machen sich die beiden mit einer fliegenden Bretzl auf den Weg nach Berlin-Tegel und dann auf die dunkle Seite der Mauer.

Der überaus erfolgreiche Zeichner Flix (Felix Görmann, * 1976) beschickt derzeit wöchentlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung mit der Serie „Glückskind“. In der FAZ erschienen schon seine Erfolgsserien „Faust“ und „Don Quijote“. In „Spirou in Berlin“ kann man ihm eine übertrieben runde story nicht vorwerfen. Episodenhaft und manchmal ein wenig verwirrt flattern wir durch den Band und viele Schauplätze: die Entführung des Grafen, Fantasios Stasi-Verhör, die Widerstandsgruppe um Momo samt ihrer tennisspielenden Affentruppe. Mit Ihnen und mit Materie verändernden Pilzkulturen gelingt schließlich die Tunnelflucht zurück in den Comic-Westen.

Dafür hält uns Flix mit vielen Anspielungen, Zitate und Referenzen bei bester Laune. Sie machen aus der kruden Story einen sehr lesens- und anschauens-werten Comic. Sie in den sehr abwechslungsreichen Panels mit Über- und Sonderformaten zu entdecken macht richtig Spass: die Entdeckung der geheimen Tagebücher von Honnecker, Ampelmännchen auf dem Zünder einer Minibombe, Affe Boris macht bumbum und selbst vor dem Stauffenberg-Attentat macht Flix nicht halt, um dem Diktator evtl. ein rabiates Ende zu bereiten. Dazu gibt es Sprüche von Helmut Kohl, Günter Schabowski und anderen.  

Bei der Buch-Vorstellung bei Dussmann, Berlin bat ich Flix um eine Zeichnung des oox dogs:

Gut getroffen, ebenso wie „Spirou in Berlin“. Hoffentlich kommt auch noch eine „Wende“-Fortsetzung!

FLIX, Spirou in Berlin, € 16  |  hier