Designer-Frage zum 90sten: wo steht in Ihrer Wohnung eine kleine Hässlichkeit, Dieter Rams?

Dieter Rams ist wohl der einflussreichste deutsche Designer. Im Mai feierte er seinen 90. Geburtstag. Und damit ein Anlass für ein – leider nicht gegebenes – Interview. Dafür beantwortet die 800 Seiten starke Hommage an Rams Less and More alle offenen Fragen. Das Beste vorneweg: das Buch enthält alles, was Braun zur begehrten Marke gemacht hat und schärft unser Wissen für gutes, funktionales Design. Und wir erfahren sogar etwas über apple. Denn gutes Design macht unser Leben schöner, praktischer und nachhaltiger. Für Sammler gibt’s hier ein interessantes Exemplar.

Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.

Eine freundliche Mitarbeiterin seines Büros bittet mich um Verständnis, dass Dieter Rams keine Interviews mehr geben möchte. Also greife ich wieder zu  Less and More: Als Chefdesigner der edlen Elektronik-Marke Braun schuf er mit seinem Team in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Klassiker der Unterhaltungs- und Haushaltselektronik.  Er gehört zu der Designer-Generation, die die Gestaltungskultur der Nationalsozialisten mit ihrer  Macht- und Heldenausrichtung schnellstmöglich ablöste. Als Gegenentwurf schufen sie klares, reduziertes und vor allem funktionelles Design. Rams: „Ich wollte entrümpeln, das Chaos beseitigen. Chaos von Produkten, Lärm, Verschmutzung. … Damals ging es mir darum, die unmittelbare Umgebung des Menschen aufzuräumen. Heute müsste man die ganze Welt aufräumen.“ Wie wahr! Rams lebt im Taunus in einem von ihm in den siebziger Jahren entworfenem Haus, das einem lebenden Museum der von ihm entworfenen Produktwelt gleicht. Daher mein großes Interesse, ob nicht doch irgendwo eine kleine Hässlichkeit herumsteht. Weitere RAQs [rarely asked questions] an Dieter Rams im Folgenden.

Und die Sache mit apple?

Eine wichtige Frage von mir an Dieter Rams war, ob er ein Wiedersehen mit seiner Tätigkeit bei und für Braun feiert, wenn er ein neues apple-Produkt sieht. Tatsächlich – das Transistorradio T3 von Braun aus dem Jahr 1958 kann als Vorbild für den iPod gelten. Das kleine Radiogerät wurde von Rams zusammen mit der Hochschule für Gestaltung in Ulm entworfen, apples britischer Stardesigner Jonathan Ive verleugnet seine Bewunderung für Rams Designstil nicht. Aber es geht um mehr als nur beste Produktgestaltung: wie sein italienischer Kollege Ettore Sottsass für den Hersteller von Büromaschinen Olivetti gelang es Rams, bei Braun eine Identität der Gestaltungslinie mit der Firmenphilosophie zu schaffen. Fünfzig Jahre später übernahm Steve Jobs dieses Markenprinzip. Damit landen Alltagsprodukte in Kunstmuseen. Ebenso, wie Rams zehn Design-Thesen Bestand haben: z.B. Gutes Design macht ein Produkt verständlich | Gutes Design ist langlebig | Gutes Design ist umweltfreundlich | Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.

Ein Wimmelbuch für Anhänger des guten Geschmacks

Zum Thema „langlebig und umweltfreundlich“: Immer noch in Gebrauch habe ich meinen Solar-Taschenrechner aus den späten achtziger Jahren. Die Smarties-Tasten fühlen sich einfach gut an. Natürlich findet sich auch mein Rechner in Less and More. Anlässlich von Ausstellungen in Osaka, Tokyo, London und Frankfurt wurde praktisch alles von und über Dieter Rams zusammen getragen. Bei über 600 Produkten war Rams samt Kollegen und seinen Teams für die Gestaltung verantwortlich. Verführerisch sind die Abbildungen der Hifi- und Stereogeräte, denn Braun war in seiner Zeit die Referenzmarke der Unterhaltungselektronik. Die Komponenten standen für exzellenten Klang und exklusive Wohnoptik. Ungewöhnlich auch die ersten Musikanlagen für die Wandmontage.

Haushaltsgeräte für das Raumfahrtzeitalter

Mit derselben Eleganz und Funktionalität finden sich die Abbildungen zu Toastern, Haarföhns, Filmkameras, elektrischen Zahnbürsten, Heizlüftern, Handmixern, Wanduhren, Reiseweckern und die berühmten Rasierer. Unzählige Detailfotos, Skizzen,  Konstruktionspläne und Modelle zeigen die intensive Arbeit hinter den Innovationen. Noch so eine Frage an Rams: Ziehen Sie Ihre Krativität immer noch aus einem übervollen Ascher mit Kippen der versunkenen Marke REVAL?

Bei trooboox gibt es einige wenige Sammlerexemplare von Less and More

Ein Jahr nach Erscheinen legte der Verlag 2010 mit einer zweiten Auflage nach: über 800 Seiten mit ergänzenden Textbeiträgen, flexiblem Cover, im Pappschuber. Der Design-Wälzer macht sich gut im Arbeitszimmer – aufgeschlagen natürlich! Für gute Ideen.

Keiko Ueki-Polet und Klaus Klemp (Hrsg.), Less and More – The Design Ethos of Dieter Rams. 808 S. | Sammlerexemplar von 2010 | € 48 | hier bei trooboox [first come first serve].

PS:

RAQs an Dieter Rams [rarely asked questions]. Wer Antworten weiss oder vermutet, bitte melden trooboox@t-online.de oder gerne als Kommentar.

Redaktion und Gestaltung von Less and More erfolgte in Japan. Sicher den Ausstellungsorten Osaka und Tokyo geschuldet. Haben Sie eine Seelenverwandschaft zum japanischen Designverständnis?

Feiern Sie ein Wiedersehen mit Ihrer Tätigkeit bei und für Braun, wenn Sie ein neues Gerät von apple sehen? Zurück in die Zukunft?

In Less and More geben Sie einen Einblick in Ihr durch-designtes Zuhause. Haben Sie in Ihrem Wohnumfeld auch schlecht Gestaltetes verborgen, auf das Sie nie verzichten könnten? Irgend eine kleine Hässlichkeit?

❹ Begleitet Ihre Kreativität immer noch ein gut gefüllter Aschenbecher mit Kippen der versunkenen Marke REVAL? Oder gibt es Ersatz-Anregungen?

❺ Ist die nette Porträtzeichnung auf Seite 807 aus Ihrer Feder?

Zusatzfrage:

Ich schreibe demnächst über das Buchprojekt YLEM von Luigi Colani aus dem Jahr 1971. Es ist mir noch nicht gelungen welche zu entdecken, aber gab es Schnittpunkte zwischen Ihnen beiden? 

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