Ein Jahr zum Abgewöhnen (schreibt Kurt Pohl) |
Ein Jahr ohne Clubbing, Bundesliga, Festivals, Oktoberfest (naja) und jetzt auch ohne Frankfurter Buchmesse. Seit März überall nur schlapper Online-Ersatz: meist fleischlos, distanziert und mit wenig Emotion. Wollen wir uns das alles abgewöhnen: Anreise nach Frankfurt mit freudigen Erwartungen, Menschen dicht an dicht, Freunde freudig zufällig treffen oder ihnen durch Gangwechsel aus dem Weg gehen, unerwartete Bücher entdecken, noch mehr Bücher übersehen, für simple Pasta im Nieselregen anstehen, Hotels in der Perpherie ansteuern und mit einem guten Gefühl nach Hause fahren?

OK, in diesem Jahr legen wir eine Buchmessen-Pause ein, aber im nächsten Jahr brauchen wir wieder Leipzig und Frankfurt, wir brauchen die Tuchfühlung und Bestätigung von und mit anderen Menschen, Gleichgesinnten, auch mit Gegnern und auch in Massen. Das wollen wir uns nicht abgewöhnen! Ab 2021 gilt wieder „Morgen in Frankfurt“ – ergänzt um informative und schnittige 24-7-365-Digitalaktivitäten.
Endlich besser leben – das Handbuch für eine neue Dekade

Die britischen Spezialisten für urbanes Leben in Stadt und Land machen nicht nur ihr monatliches Magazin MONOCLE. Jetzt legen sie mit The MONOCLE Book of GENTLE LIVING ein Buch für ein harmonisches Leben vor. Ein Handbuch fürs Tempo rausnehmen, mehr genießen und glücklicher Leben. Einer der Ratschläge lautet: nimm dir Zeit für einen Hund, denn er macht das Leben menschlicher. Gelesen, getan. Das Buch zeigt uns wie wir unser Zuhause , wie wir uns sinnvoller und zufriedener bewegen, wie wir uns nachhaltiger kleiden und wie wir uns lecker und nachhaltig ernähren – am besten zusammen mit guten Freunden. Ein eso-freies Sammelsurium bekannter und frischer Ideen für eine zufriedene Dekade. Herausgeber Tyler Brulé über das Buch: „Learning to take a breath and move on.“ Post in Arbeit, aber ich muss erst noch am Meer Luft holen und dann mach ich weiter.
Machen Welpen-Videos Bücher-Blogs erfolgreicher?
Blogger-Kollege Tobias Nazemi vom buchrevier beklagt zurecht die mangelnde Wahrnehmung von „klassischen“ Bücher-Blogs: „Instagram ist mittlerweile Leitmedium und hat die Weblogs in den Hintergrund gedrängt. . . Überall die gleichen Bücher, die gleichen Arrangements und meistens auch die gleiche Meinung – manchmal auch gar keine. . .“ Und weiter: „Mittlerweile hat auch der Buchhandel Social Media entdeckt und flutet mit professionellem Eifer alle Kanäle mit ‚buchigem‘ Content. . . Wer liest eigentlich all die Blogrezensionen und Bücherposts auf Insta und Facebook?“
Ich sehe es so – die Bloggerszene liest vor allem sich selber. Mach ich kaum, bin auch nur mit wenigen anderen Bloggern verlinkt (was mir ein schlechtes ranking beschert). Obwohl Tobias deutlich erfolgreicher ist als ich, kann ich ihn gut verstehen. „Wenn kein Schwein guckt“. . . warum machen wir es dann? Kaum Leser, praktisch kein feedback und auch die Verlage werden immer reservierter. Kein Wunder bei der Vielzahl der gewünschten Rezensionsexemplaren. Ich hab schon versucht, mit Kochrezepten beim Leser zu punkten und jetzt mit Welpenfotos.
Aber immerhin bieten viele klassische Blogger (gegenüber Insta & Co) Qualität für Leser und Buchkäufer, ein paar verwertbare Presse-Sätze für die Verlage und Freude für sich selbst. Gute Blogger informieren auf unterhaltsame und entspannte Weise über Bücher, die wir uns näher ansehen sollten. Also, weitermachen und keine weiteren Welpenfotos.
Wild im Wald – der Nationalpark Bayerwald bekommt ein Buch zum 50sten
Seit einigen Tagen habe ich einen Prachtband vom Verlag Knesebeck auf dem coffeetable: Wilder Wald – eine respektable Bestandsaufnahme zum 50. Jubiläum des Nationalparks Bayerischer Wald. Die Journalistin Alexandra von Poschinger hat aus den Bereichen der Klima- und Umweltforschung viel Informatives zusammengetragen, lässt auch reichlich Promis zu Wort kommen und insgesamt den Nationalpark hochleben. Vor allem als weltweite Blaupause für Naturschutzgebiete, die sich selbst überlassen werden. Die eindrucksvollen Fotos des (Ex-) Mitarbeiters der Parkverwaltung Rainer Simonis sind der rote Faden durch die üppige Themenauswahl. Der Bayerwald ist meine zweite Heimat und so bin ich nicht nur sehr gespannt auf das Buch, sondern freue mich auch auf das Wiedersehen mit einer wunderbaren, entschleunigenden Landschaft. Ich bin gespannt, wie die Vielzahl der Gastbeiträge zur Gelassenheit des Waldes passt. Das muss ein wilder post werden.

Ischgl Horror Show – Ein Buch mit Fotobeweisen
Peinlich, peinlich, dieser gruselige Fotoband. Zumindest für die abgelichteten Skifahrer*innen. Zuerst fand ich Lois Hechenblaikners Bildband über den COVID 19-Hotspot Ischgl gar nicht gut. Für mich zu spekulativ, abschreckend und zu viel unreflektiertes Medieninteresse. Dabei ging es Hechenblaikner gar nicht um eine Corona-Doku. Seit fast 25 Jahren beobachtet und fotografiert er vor allem, die Zerstörung der alpinen Natur- und Lebensräume durch ungebremsten Tourismus. Hoffentlich hilft das Buch dabei, das wir Skifahrer*innen naturfressenden Gigantismus meiden und einen möglichst nachhaltigen Wintertourismus betreiben. Und dafür mag und empfehle ich dieses Buch jetzt doch: ISCHGL.

Mein Fundstück im Oktober: Ein Roman der 20er Jahre in Berlin
Wer Leben und Kultur der Zwanziger Jahre und der Weimarer Republik nicht nur über die neue Staffel Babylon Berlin (ab 11.10.) kennen lernen will, sollte den Roman „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ von Gabriele Tergit lesen.

Gabriele Tergit (1894 – 1982) hieß eigentlich Elise Reifenberg, geb. Hirschmann und arbeitete als Journalistin, Gerichtsreporterin und Schriftstellerin. „Käsebier“ ist ein Schlüsselroman aus dem kulturellen Berlin der 20er Jahre über Aufstieg und Fall des Sängers Käsebier (in Wirklichkeit Erich Carow). 1933 emigrierte die Autorin nach Palästina und anschließend London. Ihr Erstlingserfolg ist ein wichtiger Berlin-Roman. Gutes, lesefreundliches Exemplar mit ein paar altersbedingten Flecken. Ein Original eben, gibt’s in meinem shop bei booklooker..
